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Historische Bevölkerungsprognosen für Wien: Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt

von Ramon Bauer und Markus Speringer

Prognosen zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung in Wien werden seit den 1950er-Jahren erstellt. Seit 2014 zeichnet die Landesstatistik Wien (MA 23) für die Durchführung von kleinräumigen Bevölkerungsprognosen verantwortlich. Die nächste Prognose wird im November 2023 veröffentlicht. Grund genug für uns, die Prognosen der Vergangenheit der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung in Wien gegenüberzustellen.

Der Wunsch, die zukünftige Bevölkerungsentwicklung zu prognostizieren, reicht bis in das 18. Jahrhundert zurück. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts liegt die entsprechende Methodik vor, um die zukünftige demographische Entwicklung zu modellieren (siehe auch Kasten weiter unten im Artikel). Globale Prognosen der Weltbevölkerung, welche die Vereinten Nationen im 20. Jahrhundert durchgeführt haben, waren in der Regel ziemlich genau. Die Abweichungen gegenüber der tatsächlichen Entwicklung bis zum Jahr 2000 lag bei all diesen Prognosen (bis auf einer) bei weniger als vier Prozent. Allerdings beruhen Prognosen über die zukünftige Weltbevölkerung ausschließlich auf Annahmen über die Entwicklung von Fertilität und Mortalität, da Migration im globalen Maßstab keine Rolle spielt.

Der Einfluss von Migration auf die Bevölkerungsentwicklung steigt, je mehr sich die geographische Betrachtungsebene verkleinert. Die Treffsicherheit von nationalen, regionalen und kleinräumigen Bevölkerungsprognosen wird vor allem von Annahmen zur zukünftigen Migrationsentwicklung bestimmt. Zukünftige Migrationsdynamiken sind allerdings äußerst schwer einzuschätzen und entwickeln sich oft anders als erwartet, da diese durch Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Situation in den Herkunfts- und Zielregionen von potenziellen Migrantinnen und Migranten beeinflusst werden.

Historische Bevölkerungsprognosen für Wien

Den Einfluss von Migrationsannahmen auf die Treffsicherheit von urbanen Bevölkerungsprognosen veranschaulicht am deutlichsten ein Rückblick auf die seit den 1950er-Jahren durchgeführten Prognosen der Wiener Bevölkerung. Die Abbildung stellt die tatsächliche Entwicklung des Bevölkerungsstandes in Wien seit 1951 im Vergleich zu historischen Bevölkerungsprognosen dar.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war in Wien bis in die späten 1980er-Jahre von Bevölkerungsstagnation und -rückgängen geprägt. Grund dafür war eine anhaltend negative Geburtenbilanz, die von zeitweise positiven Migrationsbilanzen nur bedingt kompensiert werden konnte. Bis in die 1980er-Jahre gingen Bevölkerungsprognosen auf Basis der damaligen demographischen Entwicklungen davon aus, dass die Einwohnerzahl Wiens auch in der Zukunft weiter zurückgehen würde.

Exemplarisch hervorgehoben sei hier die im Jahr 1981 erstellte Prognose (Kaufmann et al. 1986), welche die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2001 um gut 180.000 Personen unterschätzte. Anstatt der prognostizierten 1,37 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner lebten Anfang 2001 etwas mehr als 1,55 Millionen Menschen in Wien. Obwohl die Migrationsannahmen dieser Prognose die tatsächliche Entwicklung bis zur Jahrtausendwende deutlich unterschätzt hatten, waren die getroffenen Annahmen zum Zeitpunkt der Erstellung im Jahr 1981 durchaus plausibel. Der Fall des Eisernen Vorhangs war damals ebenso wenig zu erahnen wie die Kriege im ehemaligen Jugoslawien oder Österreichs Beitritt zur Europäischen Union (EU). Letztendlich resultierten diese historischen Ereignisse in einer signifikanten Steigerung der internationalen Zuwanderung nach Österreich und Wien in den 1990er-Jahren, die sich nach der Jahrtausendwende noch weiter verstärkt hat.

Die in den 1990er- und 2000er-Jahren erstellten Bevölkerungsprognosen für Wien gingen bereits wieder von einem Bevölkerungswachstum in Wien aus, allerdings unterschätzen auch diese tendenziell die zukünftigen Migrationsgewinne, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Wien bereits im September 2023 wieder die Zwei-Millionen-Einwohnermarke überschritten hat.

Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt

Bevölkerungsprognosen sind keine Prophezeiungen und sollten auch nicht so verstanden werden. Sie beruhen auf Annahmen über die zukünftigen Entwicklungspfade der drei demographischen Variablen Fertilität, Mortalität und Migration. Extremereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und potenziell großen Auswirkungen auf die (demographische) Zukunft – wie zum Beispiel die Kriege im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 1990er-Jahre, die starken Fluchtbewegungen aus Syrien und Afghanistan in den Jahren 2015 und 2016 und aus der Ukraine im Jahr 2022, oder die COVID-19-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022 – können bei Prognoseannahmen nicht berücksichtigt werden.

Historische Wurzeln moderner Bevölkerungsprognosen

  • Der Wunsch die zukünftige Bevölkerungsentwicklung quantifizierbar zu machen, reicht bis in das 18. Jahrhundert auf Autoren wie Johann P. Süßmilch (1741) oder Thomas R. Malthus (1798) zurück (Pearl & Reed, 1920; Reed, 1936; Whipple, 1920). Diese versuchten aus ihrem christlich-konservativen Weltbild heraus potenzielle gesellschaftspolitische und ökonomische Implikationen stark wachsender Bevölkerungen zu skizzieren, wobei sie sich simpler mathematisch-geometrischer Fortschreibungen des Bevölkerungswachstums bedienten (Bohk, 2011; De Gans, 1999). Seitdem hat sich die Bedeutung, Methodik und Bewertung von Bevölkerungsprognosen deutlich gewandelt, da man erkannte, dass die Bevölkerungsentwicklung das Resultat komplexer Wechselwirkungen zwischen demographischen und nicht-demographischen Faktoren darstellt.
     
    Erst im späten 19. Jahrhundert hielt das Konzept der Fortschreibung von Geburts- bzw. Alterskohorten unter der Berücksichtigung der altersspezifisch unterschiedlichen demographischen Komponenten (Fertilität, Mortalität und Migration) durch Autoren wie Wilhelm Lexis (1875) und Edwin Cannan (1895) Einzug in die Bevölkerungsforschung. Damit wurde der Grundstein für eine rudimentäre Kohorten-Überlebens-Methode gelegt, welche ab den 1920er-Jahren eine breite Anwendung in Ländern wie Frankreich (Sauvy, 1928), Großbritannien (Bowley, 1924), Italien (Gini, 1931), Niederlande (Wiebols, 1925), Schweden (Wicksell, 1926), USA (Dublin & Lotka, 1925; Whelpton, 1928) oder mit etwas Verzögerung in Österreich (Statistisches Zentralamt, 1953) fand.
     
    Es dauerte noch bis in die 1960er-Jahre, bis die „klassische“ Kohorten-Komponenten-Methode durch Autoren wie Nathan Keyfitz (1967), Andrei Rogers (1966) oder Leo Goodman (1968) in ein Matrixmodell übersetzt wurde (Bohk, 2011). Neben dem Kohorten-Komponenten-Modell, welches die breiteste Anwendung findet, gibt es noch alternative methodische Herangehensweisen, wie z. B. probabilistische oder agentenbasierte Bevölkerungsprognosen, welche anstatt deterministischer Szenarien Wahrscheinlichkeiten und Bandbreiten bei der Entwicklung der demographischen Komponenten auf gesellschaftlicher bzw. individueller Ebene nutzen.

Generell verringern allzu lange Prognosehorizonte die Treffsicherheit der Ergebnisse. Das gilt speziell für kleinräumige und urbane Bevölkerungsprognosen, deren Ergebnisse in überwiegendem Ausmaß durch Migrationsdynamik beeinflusst werden. Aus diesem Grund beschränkt sich der Zeithorizont der von der Landesstatistik Wien erstellten Bevölkerungsprognosen auf die kommenden 30 Jahre, was demographisch gesehen in etwa einer Generation entspricht. Kleinräumigere Entwicklungen in den Bezirken und Prognoseregionen werden für die nächsten 20 bzw. 10 Jahre prognostiziert. Um zukünftige Entwicklungen (und etwaige Extremereignisse) und deren demographische Konsequenzen zeitnah abbilden zu können wird die kleinräumige Bevölkerungsprognose für Wien in Zukunft jährlich aktualisiert. Die regelmäßige Prognosedurchrechnung gewährleistet, dass Politik und Verwaltung ein fundiertes Planungsinstrument zur Verfügung steht.

 

Weiterführende Informationen

Kleinräumige Bevölkerungsprognose Wien (Neue Prognose 2023 ab Mitte November)
Monatliches Bevölkerungsmonitoring Wien
Altwerden ist noch immer die einzige Möglichkeit, lange zu leben: Über steigende Lebenserwartung und sinkende Sterberaten in Wien und der Welt
Alle Bevölkerungsdaten der Wiener Landesstatistik

Auf dem Weg zurück zur Zwei-Millionen-Stadt – die Entwicklung der Wiener Bevölkerung:
Teil 1: Eine Metropole entsteht (1850–1910)
Teil 2: Das Comeback einer demographisch gealterten Stadt (1910–2018)
Teil 3: Ein Blick in die Zukunft der Wiener Bevölkerung (2018–2048)

 

Über die Autoren

  • Ramon Bauer ist Leiter der Landesstatistik Wien in der Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien.
    @metropop_eu
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  • Markus Speringer ist stellvertretender Leiter der Landesstatistik Wien (MA 23).
    @MSperinger

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