#WienInZahlen-Chart Story #16 (07/2021)
Im März 2020 haben die europäischen Regierungen noch nie dagewesene Einschränkungen des öffentlichen Lebens, des Bildungswesens und der wirtschaftlichen Freiheit verhängt, mit dem Ziel, die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen. Wie erfolgreich waren diese Maßnahmen, um soziale Kontakte zu reduzieren? Die Landesstatistik Wien hat sich Mobilitätstrends in zahlreichen europäischen Städten angesehen und dabei interessante und überraschende Muster entdeckt.
In einem ersten Schritt vergleichen wir die Mobilitätsmuster in Wien anhand von Google gesammelter und veröffentlichter Bewegungsdaten von Mobiltelefonen mit sechs europäischen Städten, die wir entweder aufgrund soziokultureller oder geographischer Nähe oder ähnlicher COVID-19-Einschränkungen ausgewählt haben – siehe die Tabelle unten. Wir haben diese Maßnahmen grob in drei Kategorien zusammengefasst:
- vollständiger Lockdown: Schließung aller sogenannter „nicht lebensnotwendiger“ Kundenbetriebe und Schulen, Veranstaltungsverbot und (zumindest teilweise) Ausgangssperren
- teilweiser Lockdown: Schließung von Gastronomiebetrieben, Veranstaltungsverbot und in manchen Fällen (teilweise) Ausgangssperren
- Einschränkungen: z. B. frühere Sperrstunden für Restaurants und Bars, Kapazitätsgrenzen für Kundenbetriebe, Distanzunterricht für Teenager etc.
Home-Office wurde in allen europäischen Städten empfohlen oder angeordnet.
Welle 1 Frühling 2020 |
Welle 2 Herbst 2020 |
Welle 3 Winter/Frühling 2021 |
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Wien | vollständiger Lockdown | vollständige und teilweise Lockdowns | vollständige und teilweise Lockdowns |
Berlin | vollständiger Lockdown | teilweiser Lockdown | vollständiger Lockdown |
Bratislava | vollständiger Lockdown+ | vollständiger Lockdown+ | vollständiger Lockdown+ |
London | vollständiger Lockdown+ | vollständiger Lockdown+ | teilweiser Lockdown |
Madrid | vollständiger Lockdown+ | Einschränkungen | Einschränkungen |
Stockholm | Veranstaltungsverbot und andere Einschränkungen | Veranstaltungsverbot und andere Einschränkungen | Veranstaltungsverbot und andere Einschränkungen |
Zürich | vollständiger Lockdown | Einschränkungen und regionale Lockdowns** | vollständige** und teilweise Lockdowns |
+ einschließlich starker Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit und (teilweiser) Schließung aller „nicht lebensnotwendigen“ Betriebe (Spanien, Vereinigtes Königreich und teilweise Slowakei)
** In der Schweiz blieben die Schulen während der zweiten und dritten Welle geöffnet.
Auf den ersten Blick sind die groben Mobilitätstrends während der COVID-19-Pandemie in allen Städten ziemlich ähnlich: Mitte März 2020 (KW 11 und 12) brechen die Bewegungszahlen überall in Europa ein. Danach bleiben sie einige Wochen weitgehend auf niedrigem Niveau und erholen sich im weiteren Verlauf stetig. Im Sommer 2020 kommt es wieder zu plötzlichen kurzen Abfällen der Mobilität und ab Herbst zu stetigem Sinken. Vor Weihnachten 2020 sehen wir Anstiege, dann plötzliche Einbrüche, und schließlich wieder eine langsame Erholung.
Mobilität in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie 2020–2021: Wien und ausgewählte Städte
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Hinweis: Alle Grafiken auf dieser Seite sind in englischer Sprache. Die Übersetzung der wichtigsten Informationen finden Sie in der Bildüberschrift.
Auf den zweiten Blick zeigen sich interessante Details: Zum Beispiel verharrte die Mobilität während der ersten COVID-19-Welle im Frühling 2020 in Madrid und London deutlich länger in der Talsohle im Vergleich zu Berlin oder Wien. Gleichzeitig gingen die Bewegungszahlen in Stockholm am wenigsten zurück – später im Herbst und Winter sieht man aber – ohne Lockdown in Schweden – kaum noch Unterschiede zu den anderen Städten. Ferienbedingte Mobilitätsrückgänge sind in einigen Städten im Juli und in anderen im August sichtbar. Im Gegensatz zur urban legend, Weihnachten 2020 (KW 52 und 53) führe zu einem Anstieg der Bewegungen, gingen die Bewegungen tatsächlich überall stark zurück, vergleichbar mit den Rückgängen der ersten Lockdowns im März. Ein ähnlicher Trend lässt sich zu Ostern 2021 (KW 13 und 14) beobachten.
Daten zur weltweiten Mobilität
- Google sammelt und veröffentlicht seit Jänner 2020 Bewegungsdaten von Mobiltelefonen auf der ganzen Welt, eingeteilt in sechs Kategorien: Lebensmittelhandel, Handel, Bahnhöfe/Haltestellen, Arbeitsstätten, Parks, Wohnorte. Die Daten werden als relative Abweichung vom entsprechenden Wochentag in der Referenzperiode Jänner 2020 angegeben. Das bedeutet zum Beispiel, dass die (tatsächliche) Mobilität am Donnerstag, dem 24. Dezember 2020, nicht mit dem Heiligen Abend 2019 verglichen wird, sondern mit einem gewöhnlichen Donnerstag im Jänner 2020.
- Für unsere Analyse haben wir nur vier der sechs Indikatoren herangezogen, nämlich Lebensmittelhandel, Handel, Bahnhöfe/Haltestellen und Arbeitsstätten. „Parks“ wurden nicht berücksichtigt, weil sie von den Pandemie-Einschränkungen kaum betroffen sind und ihre Nutzung stark von der Jahreszeit abhängt. Der „Wohnorte“-Indikator beschreibt das Gegenteil von Mobilität und wurde von Google anders erhoben als die übrigen Indikatoren, weshalb wir ihn auch nicht in unsere Analyse aufgenommen haben. Schließlich haben wir die Tagesdaten zu Wochendaten aggregiert und einen Mittelwert der vier Indikatoren gebildet. Dieser zusammengesetzte „Super-Indikator“ ist, wissenschaftlich gesehen, nicht unbedingt perfekt; nichtsdestotrotz erlaubt er einen guten Überblick von Mobilitätstrends im Vergleich.
Stadtmobilität im Detail: COVID-19 und darüber hinaus
In einem zweiten Schritt haben wir uns 28 Städte und Stadtregionen angesehen, die wir auch im Rahmen unseres Europa-Mortalitätsmonitors regelmäßig analysieren.
Mobilität in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie 2020–2021: Nordeuropa
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Im Allgemeinen sehen wir im Norden weniger Mobilitätsrückgänge als im Rest Europas: Während der ersten Welle blieben Pflichtschulen, Geschäfte und Restaurants in Stockholm offen, und auch die anderen skandinavischen Hauptstädte verhängten vergleichsweise milde Einschränkungen. Im Juli (KW 29 und 30-2020) machen die Skandinavierinnen und Skandinavier üblicherweise lange Urlaub, in Folge sinkt die Mobilität in allen vier nordischen Hauptstädten. Während der zweiten COVID-19-Welle im Herbst wurden Oslo und Kopenhagen wieder geschlossen, Stockholm und Helsinki blieben offen. Der deutliche Rückgang in KW 25-2021 ist auf die Sonnwendfeiern (Midsommar) zurückzuführen.
Mobilität in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie 2020–2021: Osteuropa
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Osteuropäische Länder verhängten strenge und langandauernde Lockdowns im Zuge der ersten COVID-19-Welle und waren auch die ersten, die in der 2. Welle ab Oktober 2020 (KW 40) wieder mit Schließungen reagierten (bis April/Mai 2021).
Mobilität in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie 2020–2021: Westeuropa
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Westeuropa war gespalten, was Lockdowns und Mobilität in der ersten Welle betraf: Frankreich, Belgien und das Vereinigte Königreich folgten eher dem südeuropäischen Muster und verhängten sehr umfassende Schließungen, die zu bisher ungekannten Mobilitätsrückgängen führten. Deutschland, Schweiz und zu einem gewissen Grad auch Österreich und die Niederlande (wo die Geschäfte offenblieben), weisen im Vergleich geringere Rückgänge auf. Im weiteren Verlauf des Jahres 2020 sieht man wieder, wie „Urlaubstraditionen“ die Bewegungsmuster beeinflussen: Mitte August (KW 33) „leeren“ sich Paris und Brüssel beinahe (-40 % Mobilität gegenüber Jänner).
Mobilität in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie 2020–2021: Südeuropa
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Italien und Spanien gehörten im Frühling 2020 zu den am stärksten „geschlossenen“ westlichen Demokratien. In der zweiten Welle verfolgten die Südeuropäer jedoch unterschiedliche Ansätze: Während Madrid und Barcelona vergleichsweise wenig Einschränkungen anordneten, verhängte Italien neue Lockdowns. Portugal wurde nach Weihnachten 2020 ebenfalls fast völlig geschlossen, nachdem das Land eine starke Welle an Infektionen und Todesfällen erlebte. Ähnlich wie die Pariser fahren die Südeuropäer offenbar besonders gerne im August auf Urlaub, was sich als deutliches Absinken der städtischen Mobilität bemerkbar macht. Wenn man noch etwas genauer hinsieht (am besten mit der Maus die jeweiligen Städte in der interaktiven Grafik markieren) bemerkt man, dass der „Weihnachtseinbruch“ in Madrid und Barcelona später erfolgt als anderswo – dort wird Weihnachten nämlich vor allem am Dreikönigstag (6. Jänner) gefeiert.
Mobilitätstrends in europäischen Städten während der COVID-19-Pandemie
Die Google-Bewegungsdaten europäischer Metropolen zeigen seit Frühling 2020 ähnliche Trends: Während der ersten Welle der Pandemie (also im Frühling 2020) brach die Mobilität überall in Europa ein. Der Effekt war stärker in Ländern und Städten mit umfassenderen Lockdowns; aber auch Gegenden, die eher auf Empfehlungen und gezielte Einschränkungen setzten, reduzierten ihre Mobilität deutlich. Nach einer schnellen Erholung dominieren fast überall Ferien und Feiertage die Bewegungsmuster, was sich durch Reduktion des Mobilitätsverhaltens in vielen der von uns untersuchten Städten ausdrückt. Im Herbst und Winter wurden wieder verschiedenste Einschränkungen in ganz Europa eingeführt (siehe auch die Tabelle oben). Verglichen mit den ersten Lockdowns im März 2020 beeinflussten diese Maßnahmen die städtische Mobilität aber schwächer und hielten auch kürzer an. Ob und inwieweit die derzeitige „Erholung“ der Mobilität in europäischen Städten weitergeht, bleibt abzuwarten.
Daten
Google Mobilitätsberichte zur Coronakrise
Datenaufbereitung: Landesstatistik Wien (MA 23)
Weiterführende Informationen
Daten-Monitor: Sterblichkeit in europäischen Ländern und Städten seit 2015