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Corona-Teststrategien – ein bisschen Statistik

von Michael Binder und Klemens Himpele

Um das Testen im Zusammenhang mit Corona gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen. Man müsse die Testkapazitäten hochfahren, die Bundesregierung gab 15.000 Tests täglich als Ziel aus. Zwar sind auch fehlende Reagenzien ein Problem: Man hätte gerne mehr getestet als man konnte. Bei allen Debatten werden aber oft wesentliche (statistische) Grundlagen übersehen.

Statistische Methoden werden eingesetzt, um Aussagen unter Unsicherheit zu treffen. Vollständige Informationen liegen nicht vor, sie müssen also geschätzt werden. Dabei kann es zu Fehlern kommen. Ein ähnliches Problem haben wir in der Medizin beim Testen, denn die Tests sind nicht zu 100 % verlässlich. Auch die sogenannten PCR-Tests im Zusammenhang von Sars-CoV2 sind nicht immer korrekt, was sich auf die Teststrategie auswirken muss.

Drei Parameter sind wichtig:

  1. Der Basiswert oder die Prävalenz: Wieviel Prozent der Population sind zum Testzeitpunkt tatsächlich infiziert?
  2. Die Sensitivität des Tests: Wie gut erkennt der Test erkrankte Personen?
  3. Die Spezifität des Tests: Wie gut erkennt der Test gesunde Personen?

Sensitivität und Spezifität

Kranke Personen sollten ein positives Testergebnis haben. Allerdings erkennen Tests nicht immer alle kranken Personen. Es gibt also kranke Menschen, die im Testergebnis als Kranke erkannt werden (richtig positiv) und Personen, die – obwohl sie krank sind – als gesund getestet werden (falsch negativ). Wenn ein Test von 100 kranken Personen 90 als krank erkennt, dann hat er eine Sensitivität von 90 %.

Gesunde Personen hingegen sollten ein negatives Testergebnis haben, aber auch hier erkennt der Test nicht immer alle Personen korrekt als gesund. Es kann zu einem positiven Testergebnis kommen, obwohl die betreffende Person gesund ist (falsch positiv). Wenn von 100 gesunden Personen 90 korrekt als gesund getestet werden (richtig negativ), dann hat der Test eine Spezifität von 90 %.

Wir haben also folgende Matrix:

Person erkrankt
ja nein
Testergebnis positiv richtig positiv falsch positiv
negativ falsch negativ richtig negativ

Die Prävalenz

Die Prävalenz teilt die Bevölkerung in zwei Gruppen auf, in unserem Fall in Gesunde und Kranke. Eine geringe Prävalenz bedeutet, dass es zwei sehr unterschiedlich große Gruppen gibt. Nach den nun veröffentlichten Daten von SORA beträgt die Prävalenz mit COVID-19 in Österreich derzeit 0,33 %. Die Gruppengrößen sind also:

Bevölkerung Österreich am 1.1.2020 (Statistik Austria) 8.902.600
Anteil COVID-19 laut SORA-Studie 0,33 %
Anzahl COVID-19 laut SORA-Studie 29.400
Anzahl der nicht an COVID-19 Erkrankten laut SORA-Studie 8.873.200

Die Gruppe „COVID-19“ umfasst also rund 29.400 Fälle, die Gruppe „Nicht-COVID-19“ hingegen knapp 8,9 Millionen Fälle. Warum ist das wichtig? Auch kleine relative Fehler in einer großen Gruppe führen zu hohen absolut falschen Ergebnissen.

Ein bisschen Teststatistik

Wir haben dank SORA nun eine erste Evidenz über den Basiswert oder die Prävalenz. Da SORA eine Stichprobe und nicht die Gesamtbevölkerung untersucht hat, liegt eine Schwankungsbreite vor. Wir rechnen mit rund 0,3 %. Wir wissen aber leider Sensitivität und Spezifität der Tests nicht, sie gelten gemeinhin als gut. Nehmen wir also sehr gut Werte von 99 Prozent bei der Sensitivität und 97 Prozent bei der Spezifität an, dann haben wir folgende Ergebnisse:

Person erkrankt Summe
ja nein
Testergebnis positiv 29.085 266.197 295.282
negativ 294 8.607.024 8.607.318

Oder als Anteile:

Person erkrankt Anteil
„korrekter“ Tests
ja nein
Testergebnis positiv 0,3 % 3,0 % 9,8 %
negativ 0,0 % 96,7 % 100,0 %

Von 29.379 erkrankten Menschen in Österreich werden 99 % oder 29.085 korrekt als krank erkannt, 294 erhalten ein negatives Testergebnis, obwohl sie krank sind. Das ist problematisch, weil diese 294 Personen davon ausgehen, gesund zu sein und sich daher vermutlich nicht entsprechend vorsichtig verhalten.

Von 8.873.221 gesunden Menschen in Österreich erhalten 97 % ein korrekt negatives Testergebnis, aber 3 % oder 266.197 werden positiv (=an COVID-19 erkrankt) getestet, obwohl sie gesund sind. Das bedeutet in unserem Fall aber: von insgesamt 295.282 positiven Testergebnissen sind lediglich 29.085 Personen wirklich erkrankt, also lediglich 9,8 %.

Warum ist das ein Problem

Würde man regelmäßig alle Menschen in Österreich testen, wären die Kosten der falsch positiven Befunde überschaubar: 266.197 Personen wären unnötigerweise in 14-tägiger Quarantäne. Regelmäßig die gesamte Bevölkerung zu testen, ist aber absolut unrealistisch – im Moment werden in Österreich 3.000 bis 5.000 Tests pro Tag durchgeführt. Es werden also nur sehr kleine Teile der Bevölkerung untersucht (=Stichprobe, Testpopulation). Bei jedem positiven Befund wird rekonstruiert, wen die infizierte Person angesteckt haben könne (contact tracing).

Wenn die Bundesregierung ihre ankündigten 15.000 täglichen Tests quer verstreut über die Bevölkerung durchführen würde, fände man 48 tatsächlich infizierte – und 449 falsch positiv diagnostizierte Personen. Bei allen müssen nun die Kontakte verfolgt werden (contact tracing) – was in der Mehrheit der Fälle sinnlos ist, da es sich ja um gesunde (aber falsch getestete) Personen handelt. Ein enormer Aufwand von Ressourcen des Gesundheitssystems, die im Moment besonders gefragt und wertvoll sind.

Tests nur bei Symptomen und Kontakten

Um dieses Problem einzugrenzen wurde entschieden, Tests nur bei Personen mit Symptomen und einer entsprechende „Geschichte“ (Kontakt zu erkrankter Person, Reise in Risikogebiete) durchzuführen. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, wirklich Infizierte zu finden, enorm – die Prävalenz der Testpopulation ist also deutlich höher. Das Problem der falsch positiven Testergebnisse reduziert sich. Nehmen wir an, die Prävalenz in dieser scharf abgegrenzten Stichprobe beträgt 20 %, dann sieht die Rechnung so aus:

Person erkrankt Anteil
„korrekter“ Tests
ja nein
Testergebnis positiv 19,8 % 2,4 % 89,2 %
negativ 0,2 % 77,6 % 99,7 %

Tatsächlich sind in Österreich ca. 10 % der Testergebnisse positiv, allerdings ist darin nicht nur die Testpopulation enthalten, sondern alle Tests – also auch von Risikogruppen oder zum Gesundschreiben.
Das Problem der „falsch Positiven“ besteht also nur bei geringer „Durchseuchung“ der Gesamtbevölkerung (=Prävalenz), die glücklicherweise in Österreich vorliegt.

Wie hoch müsste Spezifität sein?

Wir kennen die Spezifität der COVID-Tests nicht genau, bei einer angenommenen Sensitivität von 99 % und einer Prävalenz von 0,33 % bräuchte man aber eine sehr hohe Spezifität für gute Ergebnisse:

Spezifität Anteil falsch positiver Befunde
75 % 98,7 %
80 % 98,4 %
85 % 97,9 %
90 % 96,8 %
95 % 93,8 %
97 % 90,2 %
98 % 85,9 %
99 % 75,3 %
99,5 % 60,4 %
99,7 % 47,8 %
99,9 % 23,4 %
99,99% 3,0 %
100 % 0,0 %

Tabelle: Wie viele positiven Testbefunde wären falsch positiv, wenn man eine Zufallsstichprobe der österreichischen Bevölkerung testet und die „Durchseuchung“ 0,33 % beträgt?

Man sieht, dass erst bei einer Spezifität von 99,7 % der Anteil der falsch positiv Getesteten an allen positiv Getesteten auf unter die Hälfte sinkt – bei gegebener Prävalenz und Sensitivität.

Teststrategie erforderlich

Da wir nicht regelmäßig die gesamte Bevölkerung testen können, benötigen wir eine Teststrategie: Diese muss das beschriebene Problem der falsch positiven Diagnosen auf ein Minimum reduzieren. Daher versuchen die meisten Länder, in denen die Seuche noch wenig verbreitet ist (wie in Österreich), Stichproben mit möglichst höherer Prävalenz zu testen – also Personen mit Symptomen plus „Geschichte“. Zudem kann man in Bereichen testen, in denen falsch Positive als kleineres Problem hingenommen werden können. Also etwa das Personal in Spitälern, um die Verbreitung des Virus zu vermeiden.

 

Weiterführende Informationen

Wiener Mortalitätsmonitoring

 

Zu den Autoren

  • Michael Binder ist Medizinischer Direktor des Wiener Krankenanstaltenverbunds.
  •  

  • Klemens Himpele ist Leiter der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien (MA 23).
    @KHimpele

6 Kommentare

  • 16. April 2020 von pol. Hans Emik-Wurst

    Im Zitat enthaltene Links finden Sie in meinem Artikel.

    5. April 2020 | Dr. Stefan Lanka : Der Corona-Fakten-Check. Hat der Corona-Virus-Test Aussagekraft?

    Diese typischen Zell-Bestandteile von Menschen und Tieren werden nur gedanklich zu einem Modell eines Erbgutstranges eines vermuteten Virus zusammengefügt. Das Verfahren der gedanklichen Aneinanderreihung von Molekülen zu einem Ganzen heißt „Alignement“ (Zuordnung).

    Aber ein komplettes Corona-Virus, selbst ein kompletter Erbgutstrang eines Corona-Virus taucht in der Realität und der wissenschaftlichen Literatur nicht auf. Warum das so ist, habe ich in diesem Kurztext zusammengefasst:

    Der Corona-Virus-Test weist „nur“ Bestandteile nach, die in jedem Menschen vom Stoffwechsel erzeugt werden.
    Wird z.B. die Abstrichmenge vervielfacht, wird jeder Mensch im Corona-Virus-Test positiv getestet.
    Der Corona-Virus-Test wird von Labor zu Labor, von Land zu Land jeweils auf eine bestimmte Menge an Bestandteilen des Menschen (genetische Moleküle) eingestellt, die ab einer bestimmten Konzentration als „positiv“ ausgegeben werden. Unterhalb dieses Wertes, den man den „Cut-Off-Level“ nennt, wird der Test als „negativ“ ausgegeben.
    So werden z.B. in Italien an den Lungen erkrankte Menschen zu 10% „Corona-Virus-positiv“ getestet und in Südkorea einhundertmal weniger, nämlich nur 0,1% der Erkrankten.
    Ob Südkorea den „Cut-Off-Level“ absichtlich höhersetzte, um geringere „Corona-Virus-Fallzahlen“ zu erreichen, um ihre Bevölkerung und Wirtschaft vor der Corona-Panik zu schützen oder ob die entscheidenden Labors einfach nur vorsichtiger waren, wird sich in Zukunft erweisen.

  • 25. April 2020 von KARNER ANDREAS

    WO MACHT ÖSTERREICH 15000 TEST.
    IM SCHNITT 6000 TEST.

    • 14. Mai 2020 von Irene

      Oben zu lesen ist: „Regelmäßig die gesamte Bevölkerung zu testen, ist aber absolut unrealistisch – im Moment werden in Österreich 3.000 bis 5.000 Tests pro Tag durchgeführt.“ Und weiter unten dann: „Wenn die Bundesregierung ihre ankündigten 15.000 täglichen Tests quer verstreut über die Bevölkerung durchführen WÜRDE…“ Es steht nirgends, dass derzeit 15.000 Tests täglich durchführt werden!

  • 13. Mai 2020 von Klaus Weber

    In dem Artikel vom10.4 lese ich eine Beispielrechnung mit Beispielzahlen für Spezifität und Sensitivität. Wie groß sind diese Werte tatsächlich?
    Mfg Klaus Weber

    • 14. Mai 2020 von wien1x1.at Redaktion

      Sehr geehrter Herr Weber,
      wie groß Spezifität und Sensitivität bei den Corona-PCR-Tests sind, ist nicht bekannt. Die Verlässlichkeit gilt aber als hoch.
      Im Artikel handelt es sich um fiktive Zahlen. Die Kernthese der Autoren ist, dass die Spezifität sehr hoch sein muss (99,7 %), damit sich PCR-Tests einer Zufallsstichprobe aus einer Bevölkerung mit geringer Durchseuchung „auszahlen“. Daher ist es besser, eine Stichprobe zu wählen, in der die Wahrscheinlichkeit auf einen Erkrankten zu treffen höher ist als in der Gesamtbevölkerung. Dazu kann man verschiedene Kriterien festlegen, zB Symptome, Kontaktgeschichte, Reisegeschichte usw.
      Mit freundlichen Grüßen
      Das Team der Landesstatistik Wien

  • 16. Mai 2020 von A. Fuhrmann

    Schön, auf diese Seite zu treffen! Ich bin selbst positiv ohne Symptome getestet worden und habe mich gewundert. Daraufhin habe ich nach Bayes Formel die Wahrscheinlichkeit von Erkrankt-gegeben-Positiv-getestet (prob(V/P)) errechnet. Sie lag am 14.5. bei 50%. Annahmen: Sensitivität 100% (!), Spezifizität 98%, Prävalenz in Deutschland 2%. Um es deutlich zu sagen, die Wahrscheinlichkeit von 0,5 gilt nur, wenn man über den Probanden nicht mehr weiß, als daß er positiv getestet wurde. Weiß man darüber hinaus mehr, z.B. typische Symptome, dann ist der Test natürlich erheblich aussagekräftiger. (Aber dann sprechen wir nicht mehr über prob(V/P) sondern über prob(V/P&…).) Es hat mich sehr gewundert, wieviele Halb- und sogar Unwahrheiten über die Interpretation des PRC-Tests im Umlauf sind und gedankenlos auch von solchen übernommen werden, die es besser wissen sollten.

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