von Ramon Bauer, Peter Frühwirt, Daniel Jost, Roman Seidl, Markus Speringer und Franz Trautinger
Erstveröffentlichung: 28. Juni 2020 – Read in English
Jedes Jahr sterben in Wien 16.000 bis 17.000 Menschen – also rund 45 Personen am Tag oder 300 in der Woche. Die wöchentlichen Todesfälle schwanken jedoch stark aufgrund saisonaler Ereignisse wie Grippe- oder Hitzewellen. Im Zuge der COVID-19-Pandemie ist der Bedarf an Datenanalysen zur Mortalität gestiegen. Die Landesstatistik Wien wertet daher wöchentlich die Sterblichkeit der Wiener Bevölkerung der vergangenen Jahre in Hinblick auf ungewöhnliche Ereignisse aus.
Informationen zum aktuellen Sterbegeschehen finden Sie hier:
- Mortalitätsmonitoring in Österreichs Bundesländern seit 2020
- Daten-Monitor: Sterblichkeit in europäischen Ländern und Städten seit 2015
Wöchentliche Todesfälle in Wien 2020
In unseren Analysen sind alle Todesfälle von Personen mit Wohnsitz in Wien erfasst, die im Inland verstorben sind und von der Statistik Austria aus dem Zentralen Personenstandsregister (ZPR) übernommen wurden. Es handelt sich für das Jahr 2020 um vorläufige Daten.
Grafik: Wöchentliche Todesfälle in Wien 2020 (Daten)
Grundlage zur Interpretation von ungewöhnlicher Sterblichkeit, also Unter- oder Übersterblichkeit, sind die Bandbreiten der erwarteten Todesfälle (Prognoseintervalle). Je öfter und deutlicher die tatsächlichen Todesfälle außerhalb der Prognoseintervalle liegen, desto eher kann von einer ungewöhnlichen Sterblichkeit ausgegangen werden. Die Prognoseintervalle („Bänder“) umfassen 99 % der zu erwartenden Werte bei zufälliger und unabhängiger Verteilung der Todesfälle je Kalenderwoche nach Altersgruppe (0 bis 64 Jahre bzw. 65+). Die „Bänder“ berücksichtigen saisonale Schwankungen und die sich verändernden Bevölkerungszahlen und Altersstrukturen im Zeitverlauf (siehe auch Methodenbericht) – Wien ist bekanntlich seit der Jahrtausendwende stark gewachsen. Die aktuellen Daten zu wöchentlichen Sterbefällen in Wien seit 2007 und den Prognoseintervallen sind im österreichischen Open Data-Portal veröffentlicht.
Sterblichkeit in Wien seit 2007
Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der wöchentlichen Todesfälle der Wiener Bevölkerung (ohne Fälle im Ausland) zwischen 2007 und 2020. In Wien kam es in den letzten Jahren im Zuge von Grippeepidemien und sommerlichen Hitzewellen zu mehreren kurzen Perioden, in denen Übersterblichkeit in der Altersgruppe 65 Jahre und älter auftrat (z. B. im Sommer 2015 und im Winter 2016/17). 2020 führte die COVID-19-Pandemie im November und Dezember zu einer deutlichen Übersterblichkeit.
Grafik: Wöchentliche Todesfälle in Wien 2007 bis 2020 (Daten)
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Vielen Dank an die Kollegen des Schweizer Bundesamts für Statistik und Johannes Klotz für die Expertise und methodische Unterstützung bei der Ausarbeitung der Wiener Mortalitätsanalyse.
Daten
Mortalitätsmonitoring Wien und Österreich (Open Government Data, Landesstatistik Wien)
Gestorbene in Österreich (ohne Auslandssterbefälle) ab 2000 nach Kalenderwoche (Statistik Austria)
Weiterführende Informationen
Mortalitätsmonitoring in Österreichs Bundesländern seit 2020
Daten-Monitor: Sterblichkeit in europäischen Ländern und Städten seit 2015
Informationsseite der Stadt Wien zum Coronavirus
Methodenbericht der Landesstatistik Wien (MA 23) zum Prognoseintervall Sterblichkeit
Corona und Geburtenentwicklung in Wien
Kontakt für Medien
Zu den Autoren
- Ramon Bauer ist stellvertretender Leiter des Dezernats Statistik der Landesstatistik Wien (MA 23).
@metropop_eu - Peter Frühwirt arbeitet im Dezernat Grundlagen der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien (MA 23).
- Daniel Jost arbeitet in der Stabsstelle Kommunikation der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien (MA 23).
- Roman Seidl arbeitet im Dezernat Grundlagen der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien (MA 23).
- Markus Speringer arbeitet im Dezernat Statistik der Landesstatistik Wien (MA 23).
@MSperinger - Franz Trautinger ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien (MA 23).
13 Kommentare
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ihre Aussage, es gäbe dieses Jahr keine Übersterblichkeit in Wien, führte zu einer Fehlinterpretation in den Medien.
Der ORF berichtet zum Beispiel, dass „seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie nicht mehr Menschen gestorben“ sind als sonst.
Das ist falsch.
Ihre Aussage stimmt natürlich für den gesamten Zeitraum von KW 1 bis KW 17, allerdings NICHT für den Zeitraum, der zur Betrachtung von Covid in Frage kommt.
Das erste Opfer von CoV hatte Österreich in KW 11 zu beklagen.
Verwendet man zur Gegenüberstellung mit den Vergleichszeiträumen der vergangen Jahren nur den Zeitraum, der für Covid relevant ist (ab der ersten vollen Woche, in der Todesfälle durch Covid zu beklagen waren), dann hat auch WIEN eine Steigerung von etwa 13,92% gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 zu verzeichnen.
Ich bitte Sie, die Missinterpretation der Medien klarzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Pollak
Sehr geehrter Herr Pollak,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Wie Sie richtig angemerkt haben, schwankt die Zahl der wöchentlichen Sterbefälle von Woche zu Woche und von Saison zu Saison und es kommt immer wieder zu Abweichungen gegenüber dem Durchschnitt der vorausgegangenen Jahre (je nachdem, welche man auswählt). Diese deskriptiven Auswertungen lassen allerdings keine direkten Schlüsse auf Übersterblichkeit zu, da weder die Saisonalität, noch die sich verändernden Bevölkerungszahlen und Altersstrukturen berücksichtigt werden. Genau diese Korrekturen wurden in der Analyse der Landesstatistik Wien gemacht, siehe Wiener Mortalitätsmonitor (https://wien1x1.at/mortalitaetsmonitor/) und Methodenbericht (https://wien1x1.at/wp-content/uploads/sites/9/2020/05/ma23-methodik-uebersterblichkeit.pdf) – und das ist auch der Mehrwert gegenüber deskriptiven Vergleichen mit Prozentrechnung. Auch kumuliert sehen wir bei den Sterbezahlen 2020 weder zwischen KW 1 und KW 17 noch zwischen KW 11 und KW 17 nennenswerte Abweichungen vom mittleren Erwartungswert.
Mit freundlichen Grüßen
Das Team der Landesstatistik Wien
Sehr geehte Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Antwort!
Mir ist bewusst, dass die +13% im Rahmen der erwartbaren Todesfälle liegen und von Ihnen nicht als „Übersterblichkeit“ bezeichnet werden.
Das Problem sehe ich eher an der Berichterstattung, die nur Schlagwörter aufnimmt und ungefiltert in Schlagzeilen umwandelt.
Ich gehe davon aus, dass auch Sie der Meinung sind, dass Wien ohne Covid dieses Jahr sogar unter dem Durchschnitt der Vorjahre liegen würde (war es zumindest bis KW 11) und man deshalb die Auswirkung von SARS-CoV-2 trotz aller Eindämmungsmaßnahmen in der Statistik erkennen kann.
Meine Bitte ist nur, bei zitierbare Texten auf diesen Umstand nicht ganz zu vergessen.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Pollak
Die Darstellung verwendet ein 99%-Konfidenzintervall, in der Teststatistik ist das 95%-KI üblicher – das Kriterium besagt, mit welcher Irrtumswahrscheinlichkeit die Aussage, dass keine Abweichung vom erwarteten Wert vorliegt (1% oder 5%), behaftet ist. Bei einem 95%-KI sieht die Interpretation vermutlich anders aus, ich vermute, dass dann 3 Wochenwerte (also 50% in der bisherigen Coronaphase) außerhalb der Bandbreite liegen, sodass sehr wohl von Übersterblichkeit gesprochen werden kann. Es wäre seriös, jedenfalls beide Werte zu publizieren, um falschen Interpretationen nicht Vorschub zu leisten, zumal in den Medien das Signifikanzniveau nirgends genannt wird.
Sehr geehrter Herr Ritter,
vielen Dank für den Hinweis. Ihre Anmerkung bezieht sich vor allem auf Inferenzstatistik – dort spielen Konfidenzintervalle eine entscheidende Rolle. In unserem Fall handelt es sich um Prognoseintervalle, die wir festlegen, um eine Vollerhebung (Todesstatistik) interpretieren zu können indem wir Ausreißer identifizieren. Mit unserem 99 %-Prognoseintervall, das wir sowohl in Grafik als auch Text explizit erwähnen, haben wir uns an der Methodik der Kollegen beim Schweizer Bundesamt für Statistik orientiert (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/sterblichkeit-todesursachen.html).
Da die Größe derartiger Intervalle immer bis zu einem gewissen Grad willkürlich ist und – wie Sie schreiben – von Konventionen abhängt, haben wir die Analyse auch mit 95 % probiert. Das Ergebnis ist grundsätzlich ähnlich wie mit 99 % (auch 2020), nur dass es in allen Jahren seit 2015 viel häufiger zu „außergewöhnlichen Todeszahlen“ kommt. Das schwächt die analytische Schärfe der Methode deutlich, weshalb wir uns gegen 95 % und für 99 % entschieden haben – wie die Schweizer Statistik. Übrigens sehen wir auch kumuliert bei den Sterbezahlen 2020 weder zwischen KW 1 und KW 17 noch zwischen KW 11 und KW 17 nennenswerte Abweichungen vom mittleren Erwartungswert (der unabhängig von der Prognosebandbreite ist).
Mit freundlichen Grüßen
Das Team der Landesstatistik Wien
Sehr gute Arbeit. Gratulation!
Vielen Dank, das deckt sich mit dem, was ich an diesem Wochenende an Hand der für jedermann im Internet zugänglichen Daten auch in etwa herausgefunden habe, wenn auch nicht so professionell, ich schließe mich meinem „Vorschreiber“ an: Sehr gute Arbeit, Gratulaion!
Schade das hier nicht mehr ins Detail eingegangen wird. Leider finde ich keinerlei genauere Informationen wie zb. die Todesfälle von 0-15jährige, denn genau in der Bevölkerungsgruppe sank die Sterblichkeit.
Dadurch zweifel ich ein bisschen an der Interpretation „Analyse“ der Zahlen.
Wie kanns zb. sein, dass 0-15Jährige, welche definitiv nicht zur Risikogruppe geöhren, in einen Topf mit durchaus gefährdeten Personen gezählt werden? Und: Wie kanns sein, dass genau hier die Rate sank?
Nur eine Interpretation meinerseits: Liegts evtl. daran, dass aufgrund des Lockdowns es weniger Unfalltode gibt? Wenn ich das jetzt auf die älteren Altersgruppen übertrage, dann kann sich die Anzahl der Unfalltode durchaus mit denen an Covid-19 erkrankten Toten aufheben. Dazu müsste man zb. wissen wieviele Unfalltode es in Wien gibt, und ob genau diese Anzahl sank oder gestiegen ist.
Die Zahlen werden definitiv stimmen, daran zweifel ich nicht, jedoch gibts den Anschein, dass der Virus keinerlei Auswirkung an unseren Toten gibt. Zudem na no na ned.. Soooo viele Tote hatten wir in Wien jetzt auch nicht, somit muss das sowieso klar sein, dass es hier keinen gravierenden Ausschlag geben wird..
Gratulation auch von meiner Seite. Ich hätte trotzdem eine Frage zur Interpretation dieser Daten, da es ja vor allem um die Frage geht, ob die Übersterblichkeit auf Covid-19 zurückgeht. Mein Frage daher: Müsste man nicht auch eine „Untersterblichkeit“ berücksichtigen, die sich aufgrund der COVID-19 Massnahmen und dem resultierenden Einbruch bei Mobilität und Wirtschaftsaktivität ergibt? zB Verkehrstote, Todesfälle nach Arbeitsunfällen, nach Viruserkrankungen bei Auslandsreisen oder vielleicht auch akute Herzerkrankungen und anderes am Arbeitsplatz? Müsste man diese „fehlenden Todesfälle im Vergleich zu den Vorjahren“ nicht addieren/berücksichtigen, um festzustellen, ob Corona zu einer Übersterblichkeit führt? Freu mich auf Ihre Antwort!
Sehr geehrter Herr Fembek,
viele Dank für das Lob und Ihren Kommentar! Das Szenario, das sie beschreiben, ist grundsätzlich vorstellbar – es gibt aber derzeit keine Belege dafür. Die Datenlage wird erst in einem Jahr so gut sein, dass wir das beurteilen können – mittels Gesamtbilanz (jetzt fehlen noch Auslandssterbefälle), Todesursachenstatistik und einem längeren Untersuchungszeitraum. (Da es in Wien glücklicherweise mit 10 bis 20 Fällen pro Jahr nur sehr wenige Verkehrstote gibt, hätten Verringerungen hier keine sichtbaren Auswirkungen auf die Sterbestatistik.)
Mit freundlichen Grüßen
Das Team der Landesstatistik Wien
Wenn man schon die Gelegenheit hat, dass wirkliche Statistikexperten Fragen beantworten, gleich noch eine: Es gibt einige Epidemologen, die zwischen „an Corona“ und „mit Corona verstorben“ unterscheiden. Meine Frage dazu: „An“ und „mit“ muss doch ein Thema sein, mit dem sich jede Todesfallstatistik befassen muss. Auch ein Opfer eines Verkehrsunfalles stirbt ja nicht „am Unfall“ sondern zB an Lungenversagen oder Kreislaufversagen. Selbst ein Krebserkrankter verstirbt akut dann oft an einer anderen Erkrankung, nehm ich an. Wie handhabt die Statistik generell das Thema von „an“ und „mit“? Herzlichen Dank für ihre Fachauskunft.
In der Todesursachenstatistik wird mit Ausnahme der nicht natürlichen Ursachen (Unfälle, Gewalttaten, Suizide) nur ein Grund erfasst, gemäß WHO-Richtlinie das Grundleiden, zB Krebs, Diabetes. Deshalb ist auch in offiziellen Todesursachenstatistiken Grippe kaum zu finden, auch wenn die Übersterblichkeit in Grippewellen deutlich erkennbar ist.
Sehr geehrter Herr Fembek,
die Statistik Austria hat zu den Todesursachen unter Berücksichtigung internationaler Standards methodische Regeln festgelegt. Dort heißt es u. a. „In Österreich wird eine unikausale Todesursachenstatistik geführt, d. h. das Grundleiden (=die zugrunde liegende Todesursache) wird unter Berücksichtigung eines internationalen Regelwerks aus den ärztlichen Angaben t ausgewählt und durch ein geschultes Team kodiert.“ Quelle: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/todesursachen/todesursachen_im_ueberblick/index.html (Reiter „Dokumentation“).
Daten zu den Todesursachen in Wien finden Sie in unserem Statistik-Portal: https://www.wien.gv.at/statistik/gesundheit/krankheit/
Ein Hinweis: Derzeit unterscheidet auch das Gesundheitsministerium zwischen „mit“ und „an“ COVID-19 verstorben, wie Sie dem Dashboard entnehmen können: https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_GenTod.html?l=de
Mit freundlichen Grüßen
Das Team der Landesstatistik Wien