Zum Inhalt Zum Hauptmenü
  • twitter
  • rss
Menu

Altwerden ist noch immer die einzige Möglichkeit, lange zu leben*

Über steigende Lebenserwartung und sinkende Sterberaten in Wien und der Welt

von Ramon Bauer und Franz Trautinger

#WienInZahlen-Chart Story (07/2023)

Pensionen, Geschlechterunterschiede, Corona-Pandemie: Die statistische Lebenserwartung stand in den letzten Jahren oft im Fokus der öffentlichen Debatte. Es wird darüber diskutiert, wie teuer die steigende Lebenserwartung für die Sozialsysteme ist, über die sogenannte „Übersterblichkeit“ während der Pandemie oder über unvorsichtige Männer. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf das Positive: den enormen Anstieg der allgemeinen Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren.

Über Jahrtausende lag die Lebenserwartung der Menschen bei Geburt zwischen 25 und 35 Jahren. Noch im 19. Jahrhundert mussten Neugeborene in Europa damit rechnen, im Alter von 45 Jahren zu sterben. Dies änderte sich in den vergangenen 150 Jahren radikal: Die Lebenserwartung bei Geburt verdoppelte sich und lag vor der Corona-Pandemie in Europa bei rund 80 Jahren, in Österreich sogar bei 82 Jahren.

Für die Zeit ab 1950 werden von der UNO detaillierte Daten publiziert, die weltweite Vergleiche erlauben: So hat sich seit damals die Lebenserwartung in Österreich von 65 Jahren auf 82 Jahre erhöht, pro Jahr sind also fast drei Monate Lebenszeit dazugekommen (die Entwicklung in Wien ist vergleichbar). Auch im Rest der Welt sind die Fortschritte beeindruckend, besonders in Asien: Von knapp über 40 Jahren zur Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Lebenserwartung bis heute mit rund 74 Jahren rasant an das Niveau der westlichen Industrieländer angenähert.

Wie stark außergewöhnliche Ereignisse die statistische Lebenserwartung beeinflussen, sieht man zum Beispiel Ende der 1960er-Jahre in China (bzw. Asien in der Grafik): Die durch die Politik des „Großen Sprung nach vorn“ hervorgerufene Hungersnot kostete Millionen Menschen das Leben, was sich in der Statistik als Einbruch der Lebenserwartung darstellt. Nachdem das politische Programm (und damit die Hungersnot) beendet wurde, „erholte“ sich die Lebenserwartung schnell und setzte den Trend des stetigen Anstiegs fort. Ähnlich dürfte die Lebenserwartung nach der Corona-Pandemie wieder steigen, wenngleich nach deutlich geringeren Einbußen in den Jahren 2020 und 2021. Die Daten für die „Aufholjahre“ 2022 und 2023 sind derzeit noch ausständig.

Definition: Lebenserwartung

  • Die Lebenserwartung ist die im Durchschnitt zu erwartende Zeitspanne, die einem Menschen ab einem bestimmten Zeitpunkt – zum Beispiel der Geburt – bis zu seinem Tod verbleibt, wobei bestimmte Annahmen über die Sterberaten zugrunde gelegt werden. Üblicherweise wird angenommen, dass die altersspezifischen Sterberaten in der Zukunft jenen des vergangenen Jahres entsprechen. mehr…

Warum stieg die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 150 Jahren so stark?

Der nahezu kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung ist in großen Teilen darauf zurückzuführen, dass die Sterblichkeit in jüngeren Altersgruppen (vor allem Kindersterblichkeit, aber auch Sterblichkeit im Erwerbsalter) im Laufe der letzten Generationen dank medizinischem und technischem Fortschritt deutlich zurückgegangen ist. Dieser Rückgang lässt sich in der Veränderung der altersspezifischen Sterberaten beobachten, die wir für Wien bis ins Jahr 1890 zurück nach Geschlecht ausgewertet und visualisiert haben.

Die Grafiken der altersspezifischen Sterberaten in Wien zeigen, wie viel Prozent einer bestimmten (5-Jahres-)Altersgruppe in einem Jahr verstorben ist – jeweils für Frauen (oben) und Männer (unten). Jede der elf Linien stellt dabei ein ausgewähltes Jahr seit 1890 dar; die dunkelste Linie zeigt die Sterberaten 1890, die hellste Linie jene aus 2020. In weiter zurückliegenden Jahren waren für ältere Menschen keine detaillierten Daten verfügbar, weshalb diese in größere Gruppen als die sonst verwendete 5-Jahres-Altersgruppen zusammengefasst wurde; dies erkennt man am horizontalen Verlauf mancher Linien auf der rechten Seite. (Hinweis: Bei den Männern 1890 sinkt die Sterberate in der ältesten Gruppe sogar; es handelt sich dabei allerdings um ein statistisches Artefakt, da damals nur sehr wenige Männer dieses Lebensalter erreichten.)

Bitte beachten Sie die logarithmische y-Achse; die vertikalen Abstände in der Grafik sind nicht direkt proportional zu den Werten. Durch die logarithmische Darstellung werden Zusammenhänge im Bereich der kleinen Werte besser überschaubar und somit Unterschiede bei den jüngeren Altersgruppen leichter erkennbar.

Während 1890 noch etwa ein Drittel (32 %) der weiblichen Säuglinge den ersten Geburtstag nicht erlebten, waren es Anfang der 1970er-Jahre noch 2 von 100 Säuglingen (2 %) und im Jahr 2020 gar nur noch 4 von 1000 (0,4 %).

In der Altersgruppe der 61- bis 65-jährigen Männer verstarben 1890 noch etwa 5 %; 2020 waren es etwas über 1 %. Grundsätzlich galt für frühere Generationen, dass man gute Chancen auf ein langes Leben hatte, wenn man die Kindheit – und insbesondere das erste Lebensjahr – „überlebte“.

Die logarithmische Darstellung zeigt nach der Kindheit ein gleichmäßiges Ansteigen der Sterberaten: je älter, desto (exponentiell) höher die Wahrscheinlichkeit zu sterben. Auffällig ist dabei der abrupte Anstieg der Sterberate um das 18. Lebensjahr, der bei Männern in allen untersuchten Jahren von 1890 bis 2020 auftritt: Mit dem Erreichen des Erwachsenenalters und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten (Führerschein, legaler Alkoholkonsum usw.) dürfte bei einigen Männern ein „jugendlicher Leichtsinn“ überhandnehmen, der sich auch in der Mortalitätsstatistik niederschlägt. Bei den jungen Frauen taucht dieser markante Knick außer in den Jahren vor 1934 nicht auf; damals aber deutlich abgeschwächt im Vergleich zu den Männern. Auch heute noch sind die Sterberaten der 18-jährigen Männer höher als jene der Frauen dieses Alters – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau (weniger als 0,05 %).

Und wie geht es weiter?

Nachdem es während der Corona-Pandemie nahezu weltweit zu einem Rückgang der (statistischen) Lebenserwartung kam, geht die demographische Forschung wieder von einem weiteren Anstieg der durchschnittlich zu erwartenden Lebensjahre aus. Allerdings wird dieser Anstieg, im Gegensatz zu den letzten 150 Jahren, kaum noch auf einen Rückgang der Kindersterblichkeit zurückgehen: In den jüngsten Altersgruppen sind die Sterberaten in Wien, Österreich und in den meisten westlichen Industrieländern heute bereits sehr niedrig. Für weitere Steigerungen der Lebenserwartung bei Geburt ist es notwendig, dass sich die durchschnittlich verbleibende Lebenszeit im höheren Alter weiter verlängert. Die entscheidende Herausforderung für die Gesellschaft wird sein, dass die Seniorinnen und Senioren diese „gewonnenen“ Lebensjahre in Gesundheit verbringen können.

 

Weiterführende Informationen

Monatliches Bevölkerungsmonitoring Wien
Alle Bevölkerungsdaten der Wiener Landesstatistik

Auf dem Weg zurück zur Zwei-Millionen-Stadt – die Entwicklung der Wiener Bevölkerung:
Teil 1: Eine Metropole entsteht (1850–1910)
Teil 2: Das Comeback einer demographisch gealterten Stadt (1910–2018)

 

* Hugo von Hofmannsthal

 

Zu den Autoren

  • Ramon Bauer ist Leiter der Landesstatistik Wien in der Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien.
    @metropop_eu
  •  

  • Franz Trautinger ist stellvertretender Leiter des Dezernats Statistik in der Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien.

Einen Kommentar schreiben

Bitte beachten Sie

  • Ihre E-Mail wird privat gehalten.
  • Pflichtfelder sind markiert mit *
Kommentar



Datenschutzbestimmungen

  • twitter
  • rss