von Ramon Bauer, Roman Seidl und Franz Trautinger
Das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft in Wien ist seit Jahrzehnten Thema: Einerseits sind 36 % der Wienerinnen und Wiener nicht in Österreich geboren – ein Spitzenwert unter den europäischen Metropolen. Andererseits sind auch 17 % der WienerInnen „Zuagraste“ mit Geburtsort in den Bundesländern. Nachdem die Berliner Morgenpost und der Standard schon über die Zugezogenen in Berlin bzw. Wien berichteten, wollen wir hier weitere interessante Einblicke zur räumlichen Verteilung der gebürtigen WienerInnen, der „Zuagrasten“ und der Eingewanderten bieten.
„Echte“ Wiener?
Der „echte“ Wiener ist ein schwammiger Kultbegriff aus dem Fernsehen, der nicht allgemeingültig definiert ist. Wen sehen Sie vor sich, wenn sie an den „echten Wiener“ oder an die „echte Wienerin“ denken? Jene, die regelmäßig eine „Hüsn“ und eine „Eitrige“ bestellen? Oder diejenigen, die zumindest wissen, was damit gemeint ist? In jedem Fall handelt es sich um Klischees, die mithilfe der amtlichen Statistik nicht messbar sind. „Echter Wiener“ ist vermutlich, wer sich als Wiener fühlt.
Über subjektive Wahrnehmungen haben wir keine Daten. Was wir aber dank des Melderegisters treffsicher unterscheiden können, ist der Geburtsort der Wienerinnen und Wiener. Wir haben für unsere Analyse drei Gruppen festgelegt:
- geborene WienerInnen
- „zuagraste“ WienerInnen (geboren in Österreich, aber nicht in Wien)
- eingewanderte WienerInnen (geboren im Ausland)
Wie immer bei solchen Einteilungen ergeben sich auch hier Fälle, die zwar nicht falsch, aber auch nicht wirklich zutreffend zugeordnet werden. Von zwei Brüdern, ist der eine in Wien, der andere in München geboren. Beide haben ihr ganzes Leben in Wien verbracht, dennoch gilt der erste als geborener Wiener und der zweite als Einwanderer. Als gebürtige Wienerin gilt die Studentin, die in der Hauptstadt zur Welt gekommen ist, in Mistelbach aufwuchs und zurzeit in einer Wiener WG lebt.
Die Wiener Zwiebel: Wer in Wien geboren ist, bevorzugt die Außenbezirke
Um die räumliche Verteilung der drei Gruppen auf einer Karte abzubilden, greifen wir auf das von Jonas Schöley und Ilya Kashnitsky entwickelte Tricolore-Tool zur Visualisierung dreiteilig strukturierter Datensätze zurück. Die „Tricolore“-Karte von Wien veranschaulicht die Konzentration bzw. das Mischungsverhältnis der drei Kategorien und ermöglicht eine vergleichende Betrachtung der Bevölkerungsstruktur der Wiener Wohnquartiere (auf Basis von 250 Zählbezirken).
Die Karte zeigt auf den ersten Blick interessante räumliche Muster. Die Verteilung der drei Gruppen gleicht einer zusammengedrückten („eingedepschten“) aufgeschnittenen Zwiebel: Die geborenen WienerInnen (in der Karte orange) bevorzugen die Außenbezirke – vermutlich nicht zufällig war „Mundl“ ein Favoritner. Besonders gerne wohnen sie in den Bezirken nördlich der Donau, Liesing und Hietzing, wo ihr Anteil jeweils über 55 % beträgt. Sowohl „Zuagraste“ als auch EinwanderInnen zieht es dagegen nicht so stark in diese Gegenden.
Die höchste Dichte an Menschen mit ausländischem Geburtsort (in der Karte blau) findet sich um die Innenbezirke herum: Also entlang des Gürtels in den Vororten, in der Brigittenau, der Leopoldstadt sowie im Süden in Meidling, Favoriten und Simmering – den alten „Arbeiterbezirken“.
Die zugereisten WienerInnen (in der Karte ocker) leben vor allem in den inneren Bezirken entlang des Gürtels und im Westen.
Im Schnitt ist fast jeder zweite Stadtbürger bzw. jede zweite Stadtbürgerin in Wien geboren. Diese Gruppe bildet in 15 von 23 Gemeindebezirken die (relative) Mehrheit. Knapp über ein Drittel der WienerInnen stammt aus dem Ausland und etwa 17 % sind aus den Bundesländern „zuagrast“. In der Gegend zwischen Floridsdorfer Spitz und der Donauinsel entspricht die Bevölkerungszusammensetzung fast genau dieser „Wiener Melange“. Auf Bezirksebene findet sich dieses Mischverhältnis am ehesten in der Inneren Stadt.
„Tricolore“ auf Zählbezirksebene: Wo wohnen geborene WienerInnen, „Zuagraste“ und Eingewanderte in Wien? (Vektor-PDF)
Wichtig zum Verständnis der Tricolore-Visualisierung: In keinem Bezirk und keinem „Grätzl“ (Zählbezirk) stellen die „Zuagrasten“ die Mehrheit. Die Karte zeigt nur, wo man die „Zuagrasten“ am ehesten antrifft. Am höchsten ist ihr Anteil auf Bezirksebene in Mariahilf, am Neubau, in der Josefstadt und am Alsergrund mit jeweils rund 25 %. Die beiden anderen Gruppen sind aber auch in diesen Gegenden immer größer (jeweils zwischen 33 und 40 %).
„Tricolore“ auf Bezirksebene: Wo wohnen geborene WienerInnen, „Zuagraste“ und Eingewanderte in Wien? (Vektor-PDF)
Die präferierten Bezirke der im Ausland geborenen WienerInnen sind Rudolfsheim-Fünfhaus, die Brigittenau, Margareten und Favoriten mit einem Anteil von jeweils deutlich über 40 %.
Wohnort | Geburtsort | ||
---|---|---|---|
Wien | Restösterreich | Ausland | |
Wien | 46,9 | 16,9 | 36,2 |
Donaustadt | 58,4 | 14,4 | 27,2 |
Neubau | 36,5 | 26,8 | 36,6 |
Rudolfsheim-Fünfhaus | 34,8 | 16,8 | 48,4 |
Bezirke mit dem jeweils höchsten Anteil von in Wien, in Restösterreich und im Ausland Geborenen (Quelle: Statistik Austria)
Karte Zählbezirke: Wo die geborenen WienerInnen wohnen (Vektor-PDF)
Burgenländischer Süden, oberösterreichischer Westen, niederösterreichischer Stadtrand
Betrachtet man die „Zuagrasten“ nach dem Bundesland ihrer Herkunft, finden sich ebenfalls bemerkenswerte räumliche Verteilungen: Burgenland-Geborene siedeln sich besonders gerne im Süden Wiens an. Menschen, die aus Oberösterreich stammen, im Westen und geborene NiederösterreicherInnen leben vor allem in den äußeren Wohngegenden – ähnlich wie die in Wien Geborenen. Bei weiter entfernten Bundesländern verschwimmt das Bild etwas (also SteirerInnen konzentrieren sich nicht unbedingt im Süden etc.). Das allgemeine Muster, die Donau nicht zu überqueren, gilt mit Ausnahme der NiederösterreicherInnen, für alle „zuagraste“ WienerInnen.
Karte Zählbezirke: Wo die geborenen BurgenländerInnen wohnen (Vektor-PDF)
Karte Zählbezirke: Wo die geborenen NiederösterreicherInnen wohnen (Vektor-PDF)
Karte Zählbezirke: Wo die geborenen OberösterreicherInnen wohnen (Vektor-PDF)
In Summe kommen die meisten „Zuagrasten“ aus Niederösterreich
Welche Bundesländer sind in Wien besonders dominant? Hier gibt es mit Niederösterreich einen klaren Sieger. 140.000 EinwohnerInnen der Hauptstadt kommen aus dem Land unter der Enns, das sind 44 % aller Wiener „Zuagrasten“. (Rechnet man die 190.000 TagespendlerInnen dazu, halten sich an Arbeitstagen sogar bis zu 330.000 Menschen mit Niederösterreich-Hintergrund in Wien auf.)
Platz zwei und drei belegen Oberösterreich und die Steiermark mit 14 bzw. 13 % (46.000 bzw. 42.000 Menschen). Aus dem am weitesten entfernten (und zweitkleinstem) Bundesland Vorarlberg kommen nur rund 9.000 BewohnerInnen Wiens.
Wien vs. Chicago – die heimlichen Hauptstädte des Burgenlands
Ein kurioser Nebenaspekt der Attraktivität Wiens für viele Zuwanderer aus dem Rest Österreichs: In der Bundeshauptstadt trifft man oft auf mehr Landsmänner und -frauen als in den größten Gemeinden der Länder selbst. In Wien leben mehr burgenländisch- und niederösterreichisch-geborenen BewohnerInnen als in Eisenstadt bzw. St. Pölten. Die Bundeshauptstadt ist die zweitgrößte steirische und die drittgrößte oberösterreichische Gemeinde. Und immerhin der viertgrößte Ballungsraum für geborene KärntnerInnen und SalzburgerInnen. Lediglich unter WestösterreicherInnen scheint Wien nicht ganz so beliebt zu sein: Unter den Tiroler und Vorarlberger Gemeinden liegt Wien abgeschlagen auf Platz 7 bzw. 11.
Rang | Burgenland | Kärnten | Niederösterreich | Oberösterreich | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | |
1 | Wien | 27.059 | Klagenfurt | 100.369 | Wien | 140.376 | Linz | 204.846 |
2 | Eisenstadt | 14.476 | Villach | 61.879 | Sankt Pölten | 54.649 | Wels | 61.233 |
3 | Neusiedl am See | 8.235 | Wolfsberg | 25.035 | Wiener Neustadt | 44.820 | Wien | 45.724 |
4 | Oberwart | 7.572 | Wien | 24.532 | Klosterneuburg | 27.058 | Steyr | 38.331 |
5 | Mattersburg | 7.349 | Spittal an der Drau | 15.413 | Baden | 26.286 | Leonding | 28.698 |
6 | Pinkafeld | 5.779 | Feldkirchen in Kärnten | 14.198 | Krems an der Donau | 24.610 | Traun | 24.477 |
7 | Parndorf | 4.689 | Sankt Veit an der Glan | 12.547 | Amstetten | 23.656 | Braunau am Inn | 17.095 |
8 | Neudörfl | 4.564 | Völkermarkt | 10.946 | Mödling | 20.555 | Ansfelden | 16.194 |
9 | Jennersdorf | 4.096 | Sankt Andrä | 9.957 | Traiskirchen | 18.858 | Bad Ischl | 14.133 |
10 | Gols | 3.835 | Finkenstein am Faaker See | 9.003 | Schwechat | 18.026 | Marchtrenk | 13.603 |
11 | Güssing | 3.655 | Velden am Wörther See | 8.954 | Stockerau | 16.916 | Gmunden | 13.191 |
Die zehn größten Gemeinden der Bundesländer sowie der Bevölkerungsstand von im jeweiligen Bundesland geborenen Menschen in Wien (1.1.2018, Quelle: Statistik Austria), „EW“ = EinwohnerInnen
Rang | Salzburg | Steiermark | Tirol | Vorarlberg | ||||
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Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | Gemeinde | EW | |
1 | Salzburg | 153.377 | Graz | 286.292 | Innsbruck | 132.493 | Dornbirn | 49.278 |
2 | Hallein | 21.150 | Wien | 41.455 | Kufstein | 19.223 | Feldkirch | 33.420 |
3 | Saalfelden am Steinernen Meer | 16.700 | Leoben | 24.645 | Telfs | 15.747 | Bregenz | 29.806 |
4 | Wien | 15.601 | Kapfenberg | 22.798 | Hall in Tirol | 13.897 | Lustenau | 22.821 |
5 | Wals-Siezenheim | 13.056 | Bruck an der Mur | 15.885 | Wörgl | 13.811 | Hohenems | 16.317 |
6 | Sankt Johann im Pongau | 10.944 | Feldbach | 13.369 | Schwaz | 13.728 | Bludenz | 14.539 |
7 | Seekirchen am Wallersee | 10.764 | Gratwein-Straßengel | 13.002 | Wien | 12.455 | Hard | 13.495 |
8 | Bischofshofen | 10.540 | Knittelfeld | 12.626 | Lienz | 11.844 | Rankweil | 11.855 |
9 | Zell am See | 9.852 | Leibnitz | 12.201 | Imst | 10.504 | Götzis | 11.473 |
10 | Straßwalchen | 7.420 | Weiz | 11.627 | Sankt Johann in Tirol | 9.428 | Lauterach | 10.267 |
11 | Kuchl | 7.274 | Deutschlandsberg | 11.604 | Rum | 9.190 | Wien | 9.033 |
Die zehn größten Gemeinden der Bundesländer sowie der Bevölkerungsstand von im jeweiligen Bundesland geborenen Menschen in Wien (1.1.2018, Quelle: Statistik Austria), „EW“ = EinwohnerInnen
Dennoch befindet sich die „größte burgenländische Stadt“ möglicherweise nicht in Österreich, sondern in Übersee – wir wissen es aber nicht genau: Im 20. Jahrhundert wanderten zahlreiche Menschen aus dem „Hoanzenland“ in die Vereinigten Staaten aus, sodass zu Hochzeiten laut Schätzungen rund 30.000 geborene BurgenländerInnen in Chicago lebten, also mehr als heute in Wien (27.059).
Die viel diskutierte Frage, ob der „echte“ Wiener langsam untergehe, wird vom „Standard“ im Jahr 2016 mit „wohl nicht“ (Paraphrase) beantwortet. Angesichts der mangelnden Klärung, was die „Echtheit“ einer Wienerin bzw. eines Wieners ausmacht, ist auch die Diskussion über den Untergang obsolet. Wien wird in den nächsten Jahren jedenfalls weiter wachsen – der Anteil der in Wien Geborenen dürfte im Gegensatz zu den letzten Jahren in Zukunft wieder steigen. Ob man in 30 Jahren noch wissen wird, was „Pantscherl“, „fladern“ oder „Pfrnak“ bedeuten, bleibt aber offen.
Weiterführende Informationen
Englischsprachiges Poster „Wiener Melange – Who lives where in Vienna?“ über „Zuagraste“, geborene Wiener und Zugewanderte in der Stadt
Kurier vom 11.11.2018 zur „Wiener Melange“
kurier.at zur „Wiener Melange“ mit interaktiver Karte
Zu den Autoren
- Ramon Bauer ist stellvertretender Leiter des Dezernats Statistik Wien der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.
@metropop_eu - Roman Seidl arbeitet im Dezernat Grundlagen der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.
- Franz Trautinger ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.
3 Kommentare
1965 hatte ich in der Volksschule eien Arbeitsbehelf der Zentralsparkasse zum Thema „Heimatkunde“, in dem die Bezeichnung von Wienerinnen und Wienern im Zusammenhang mit ihrer Herkunft angeführt war, und in dieser Aufzählung stand:
Echter Wiener – In Böhmen oder Mähren geboren
Geborener Wiener – In Wien geboren
…
Die anderen habe ich mir leider nicht gemerkt, aber den „Echten Wiener“ fand ich auch schon damals faszinierend. Vielleicht hat noch jemand diesen Arbeitsbehelf, es befanden sich darin neben verschiedenen Texten auch Bilder, die zum Ausschneiden und Einkleben in ein Heft gedacht waren.
Sehr geehrtes Team,
wann kommen aktuellere Daten von Wien?!
Beste Grüße vom Westen in Wien.
Silvia Steiner
Sehr geehrte Frau Steiner,
danke für Ihre Nachricht! Beim obenstehenden Beitrag handelt es sich um eine einmalige Sonderauswertung. Aktuelle Bevölkerungsdaten der österreichischen Gemeinden (nach Bundesland) finden Sie bei der Statistik Austria: https://www.statistik.at/fileadmin/pages/405/Bev_zu_Jahresbeginn_Gebietseinheiten_Zeitreihe.ods
Falls Sie aktuelle Daten zu den Geburtsbundesländern der Wiener Bevölkerung benötigen, ersuchen wir Sie eine E-Mail an anfragen@ma23.wien.gv.at zu schicken.
Beste Grüße
das Team der Wiener Landesstatistik