Erstveröffentlichung: 15. März 2021
Aktualisierung: mindestens einmal im Quartal
Extremereignisse, wie Naturkatastrophen, Kriege, wirtschaftliche und politische Krisen, haben meist direkte und indirekte Auswirkungen auf Bevölkerung und Gesellschaft. In der Corona-Pandemie verlaufen mehrere Krisen gleichzeitig: eine ansteckende Krankheit sowie wirtschaftliche, soziale und politische Verwerfungen. Im vergangenen Jahr haben wir unter anderem die steigende Arbeitslosigkeit und den Einbruch des Tourismus dargestellt. Mit nun vorliegenden Daten lassen sich Trends der Geburtenentwicklung in Wien feststellen.
Führen Ausgangssperren dazu, dass Paare sich vermehrt reproduktiver Tätigkeit zuwenden? Es gibt die oft als urban legend kritisierte These, dass auch während längeren Stromausfällen mehr Kinder gezeugt werden. Bewirkt die Schließung von Begegnungsorten, wie Gastronomie, Universitäten und Büros, dass sich weniger Männer und Frauen kennenlernen und in Folge auch keinen Nachwuchs zeugen? Oder verzichten potenzielle Eltern auf die Verwirklichung ihres Kinderwunsches angesichts unsicherer oder düsterer Zukunftsperspektiven? Verschieben sie die Familiengründung auf später? Auch hierfür gibt es historische Beispiele und Studien. Corona ist auch in dieser Hinsicht „Neuland“; laut internationalen Medienberichten folgten auf die Pandemie-Maßnahmen in anderen Ländern Rückgänge der Geburtenzahlen, z. B. in Italien, Frankreich, Spanien und den USA.
Vorläufige Geburten- und Empfängniszahlen
- Die in diesem Artikel dargestellten Zahlen von Geburten und gezeugten Kindern basieren auf dem Zentralen Melderegister und sind vorläufig. Um die Neugeborenen eines Kalendermonats zu ermitteln, wird der Stand des Melderegisters zu Beginn des übernächsten Monats herangezogen. So ist sichergestellt, dass auch mit Verzögerung angemeldete Kinder erfasst sind, was mit der neu eingeführten Terminvergabe auf den Meldeämtern häufiger vorkommt. Zum Beispiel: Als Neugeborene im Jänner 2015 werden alle Kinder gezählt, die Anfang März 2015 im Wiener Melderegister mit Geburtsdatum im Jänner 2015 eingetragen waren. Das geschätzte Datum der Empfängnis wird von uns 267 Tage vor dem Geburtsdatum angenommen.
Diese Methode der Landesstatistik Wien bietet eine Annäherung an die amtliche Geburtenstatistik (Zentrales Personenstandsregister), die nicht in der benötigten Aktualität ausgewertet werden kann. Der Vergleich unserer „indirekten“ Methode mit der amtlichen Geburtenstatistik zeigte in der Vergangenheit nur geringe Abweichungen. Als Wiener Neugeborenes zählt in der amtlichen Statistik jedes Kind, dessen Mutter zum Zeitpunkt der Geburt ihren Hauptwohnsitz in Wien hatte.
Aussagen über das sogenannte „reproduktive Verhalten“ sind über die Geburtenzahlen möglich – allerdings erst mit neun Monaten Verspätung (um genau zu sein: 267 Tagen). In Österreich – und den meisten anderen Ländern – werden Schwangerschaften nicht systematisch erfasst. Mit den Daten der Anfang Oktober 2021 gemeldeten (neugeborenen) Wienerinnen und Wiener können wir daher rückblickend Aussagen über die Zahl der gezeugten Kinder bis Ende Dezember 2020 tätigen. Im Verlauf dieses Jahres werden wir unsere Auswertung erweitern – zumindest einmal je Quartal. Alle Grafiken und Aussagen in diesem Artikel beziehen sich auf den berechneten Zeitpunkt der Zeugung (mehr dazu im Info-Kasten).
Zahl der gezeugten Kinder bis Ende Dezember 2020 unauffällig
Die aktuellsten Daten (Stand November 2021) erlauben Rückschlüsse auf das reproduktive Verhalten der Wienerinnen bis Kalenderwoche 53 (Ende Dezember) im ersten „Lockdown“-Jahr 2020. Die in der ersten Grafik dargestellten Zahlen der gezeugten Kinder zeigen, dass es in den ersten Wochen des Frühjahres-„Lockdowns“, der im März begann, zu keiner auffälligen Entwicklung kam. Zwar bewegte sich die Anzahl der gezeugten Kinder im unteren Bereich des Referenzbandes (Vergleichszeitraum 2015 bis 2019); dieser Trend war allerdings schon vor März 2020 zu bemerken.
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Die zurückgehende Entwicklung von Geburten und damit der Zeugungen von Kindern in den letzten Monaten und Jahren ist Teil eines längerfristigen Trends, wie die nächste Grafik verdeutlicht: Seit Ende 2015 sinkt die Zahl der empfangenen Kinder (und späteren Geburten) leicht aber stetig; 2020 scheint bisher eine unauffällige Fortsetzung dieser Entwicklung zu sein. Ein etwaiger Corona-Geburten-Effekt kann anhand der vorliegenden Daten (Stand 2. 11. 2021) bisher nicht festgestellt werden.
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Unsere Kurzanalyse auf Basis aktueller Meldedaten steht unter Vorbehalt: Es lassen sich zwar keine Einbrüche oder explosionsartigen Steigerungen der gezeugten Kinder nach dem ersten „Lockdown“ im März 2020 feststellen; trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Laufe des Jahres 2020 und später in Summe zu leichten Zuwächsen oder Rückgängen kommt, die in der Grafik „mit freiem Auge“ nicht sichtbar sind. Für eine Prognose der Zahl der gezeugten Kinder des Jahres 2020 ist es auf jeden Fall zu früh. Eine genauere Bewertung des reproduktiven Verhaltens während der Corona-Krise wird wohl erst rückblickend in den nächsten Jahren möglich sein.
Weiterführende Informationen
Wien in Corona-Zahlen (Mai 2020)
Wiener Mortalitätsmonitoring 2007 bis 2020
Mortalitätsmonitoring in Österreichs Bundesländern seit 2020