Was die Daten aussagen – und was nicht
von Julia Glitzner
#WienInZahlen-Chart Story (05/2025)
In den letzten 150 Jahren ist die weltweite menschliche Lebenserwartung dank medizinischen Durchbrüchen und technologischen Innovationen nahezu kontinuierlich gewachsen. Auch in Wien zeigt sich dieser Trend deutlich: Die Lebenserwartung bei der Geburt stieg im Zeitraum 1970 bis 2023 von 70,6 Jahre auf 81,0 Jahre an. Immer wieder werden in Medien und Politik Disparitäten in der Lebenserwartung thematisiert, unter anderem zwischen den Wiener Gemeindebezirken. In diesem Beitrag wollen wir die Entwicklung der letzten Jahre beleuchten, einen genauen Blick auf kleinräumige Unterschiede werfen, und erklären, warum solche Vergleiche, speziell im urbanen Bereich, oft in die Irre führen können.
Der Aufwärtstrend der Lebenserwartung
Insbesondere der markante Rückgang der Sterblichkeit in jüngeren Altersgruppen aufgrund medizinischen und technischen Fortschritts hat dazu beigetragen, dass sich seit Jahrzehnten ein langfristiger, beinahe linearer Anstieg in der Lebenserwartung beobachten lässt.
Hintergrund: Lebenserwartung
- Der Begriff Lebenserwartung beschreibt die durchschnittliche Anzahl an Lebensjahren, die eine Person ab einem bestimmten Alter unter den aktuellen demographischen Bedingungen voraussichtlich noch leben wird. Zumeist wird die Lebenserwartung für das Alter 0, also bei der Geburt, angegeben. Sie basiert auf altersspezifischen Sterberaten einer bestimmten Population und Zeitperiode.
Zumeist – und auch in diesem Beitrag – wird die Perioden-Lebenserwartung verwendet. Sie gibt an, wie lange eine Person leben würde, wenn die aktuellen altersspezifischen Sterblichkeitsraten über ihr gesamtes Leben hinweg konstant blieben. Daher basiert sie auf einer Momentaufnahme und wird zur Schätzung zukünftiger Entwicklungen genutzt.
In Wien hat sich die Lebenserwartung von Frauen seit 1970 von 73,5 auf 83,3 Jahre erhöht, bei Männern von 67,0 auf 78,6 Jahre. Damit fiel der Zugewinn bei Männern mit 11,6 Jahren höher aus als bei Frauen (+9,8 Jahre). Im Schnitt entspricht dies einem jährlichen Anstieg von etwa zweieinhalb Monaten. Dieser jährliche Zuwachs verlangsamte sich jedoch zunehmend, was sich in den flacher werdenden Kurvenverläufen widerspiegelt.
Im Jahr 2019 betrug die Lebenserwartung der Wiener 78,6 Jahre und die der Wienerinnen 83,4 Jahre. Die Corona-Pandemie ab März 2020 führte zu einem unvorhergesehenen Rückgang in den Folgejahren, wodurch die Wiener Lebenserwartung auf das Niveau von 2013/14 zurückgeworfen wurde. Die Einbußen der durchschnittlich zu erwartenden Lebenszeit bei Geburt beliefen sich in Wien bei Männern auf -0,91 Jahre und bei Frauen auf -0,79 Jahre. Seit 2022 verzeichnet Wien wieder einen Zuwachs in der Lebenserwartung und 2023 lag sie nur noch geringfügig unter den Werten von 2019, sodass von einer „Erholung“ von den pandemiebedingten Verlusten gesprochen werden kann.
Lebenserwartung bei Geburt | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | Differenz 2019-2023 |
---|---|---|---|---|---|---|
Wien | 81,06 | 80,35 | 80,19 | 80,46 | 81,01 | 0,05 |
Männer | 78,56 | 77,84 | 77,65 | 78,04 | 78,55 | 0,01 |
Frauen | 83,38 | 82,72 | 82,59 | 82,73 | 83,31 | 0,07 |
Lebenserwartung in den Wiener Gemeindebezirken
Im Vergleich zum Vorjahr stieg 2023 die Lebenserwartung bei der Geburt in Wien um etwas mehr als sechs Monate auf 81,0 Jahre an. Die Differenz zwischen den Geschlechtern betrug 4,8 Jahre (M: 78,6 | F: 83,3). Auch zwischen den einzelnen Wiener Gemeindebezirken bestehen deutliche Unterschiede in der Lebenserwartung. Unter den Frauen sind die längsten Lebenserwartungen in der Josefstadt (85,5 Jahre), der Inneren Stadt (85,3 Jahre) und Hietzing (85,2 Jahre) zu finden, während die niedrigsten Werte in der Brigittenau (82,3 Jahre), Margareten (82 Jahre) und Simmering (81,8 Jahre) liegen. Bei den Männern führen ebenfalls die Innere Stadt (84,4 Jahre) und die Josefstadt (82,9 Jahre) die Rangliste an, gefolgt vom Neubau mit 81,3 Jahren. Die kürzeste Lebenserwartung haben Männer in Simmering (77,6 Jahre), Meidling (76,5 Jahre) und Rudolfsheim-Fünfhaus (76,4 Jahre).
Zwischen den Bezirken weisen die Lebenserwartungen der Frauen eine Spannweite von 3,7 Jahren auf, während sie bei Männern mit 8,0 Jahren deutlich größer ausfällt. Diese Differenz deutet auf soziale und gesundheitliche Disparitäten hin, die insbesondere unter der männlichen Bevölkerung stark ausgeprägt sind. Zudem liegt die Lebenserwartung der Frauen in allen Bezirken höher als die der Männer. Dies ist nicht sonderlich überraschend, da die weibliche Bevölkerung in den meisten Regionen der Welt länger lebt. Dieser Vorteil ist überwiegend auf einen risikoreicheren und ungesünderen Verhaltens- und Lebensstil der Männer, aber auch auf biologische Faktoren, zurückzuführen. Insbesondere ist seit Anfang der 1980er-Jahre eine Annäherung der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern zu beobachten. Während der Unterschied 1982 noch bei etwa sieben Jahren lag, betrug er im Jahr 2023 nur noch knapp fünf Jahre.
Im Bezirksvergleich sind sozioökonomische Muster erkennbar, die in der wissenschaftlichen Literatur als zentrale Einflussfaktoren der Lebenserwartung bekannt sind. In Bezirken mit besonders hoher Lebenserwartung sind in der Regel auch ein überdurchschnittlich hohes Einkommensniveau sowie ein hoher Bildungsstand zu finden. Zudem sind in diesen wohlhabenden Regionen die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Lebenserwartung geringer als in anderen. Trotz einer Korrelation ist der Wohnbezirk in der Regel nicht die Ursache für diese Unterschiede. Vielmehr spiegelt er räumliche Muster wider, die mit aktuellen Bildungs- und Einkommensdisparitäten zusammenhängen. Anders gesagt: Die höhere Lebenserwartung eines Menschen mit Universitätsabschluss und hohem Einkommen sinkt nicht, wenn diese Person beispielsweise von der Inneren Stadt nach Rudolfsheim-Fünfhaus zieht.
Berechnung und Interpretation von kleinräumigen Lebenserwartungen
Die Berechnung der Lebenserwartung auf kleinräumiger Ebene bringt diverse methodische Herausforderungen mit sich. Um statistisch verlässliche Ergebnisse zu erhalten, sind für jede räumliche Einheit und Altersgruppe ausreichend Fallzahlen bzw. Sterbefälle erforderlich. Zu geringe Fall- bzw. Einwohnerzahlen sowie jährliche Schwankungen können die Verlässlichkeit der Ergebnisse beeinträchtigen.
Ein zu berücksichtigender Aspekt bei der Interpretation von kleinräumigen Lebenserwartungen ist die Bevölkerungsdynamik, insbesondere durch Migrationsbewegungen. In städtischen Gebieten wie Wien, die von Außen- und Binnenzuwanderung geprägt sind, kann dies eine räumlichen Verzerrung der Lebenserwartung bewirken. Beispielsweise kann ein Umzug kurz vor dem Ableben in einen anderen Bezirk dazu führen, dass Sterbefälle einem geographischen Raum zugeordnet werden, mit dem keine langfristige Lebensrealität verbunden ist. Derartige Wanderungsbewegungen verändern zwar nicht die individuelle Lebenserwartung, können jedoch die kleinräumige Lebenserwartung verzerren.
Durchschnittliches Sterbealter ≠ Lebenserwartung
Eine weitere, einfach ermittelbare (und deshalb im öffentlichen Diskurs gern herangezogene) Mortalitätskennzahl ist das durchschnittliche Sterbealter. Während die Lebenserwartung die Sterbedaten in Relation zur Bevölkerung in den Altersgruppen setzt und mit speziellen Modellen berechnet wird, basiert das durchschnittliche Sterbealter schlicht auf der Altersverteilung von Verstorbenen. Demnach unterscheidet sich auch die Bedeutung der beiden Kennzahlen. Während das mittlere Sterbealter rückblickend das Durchschnittsalter aller Verstorbenen angibt, prognostiziert die (Perioden-)Lebenserwartung das zukünftige Sterbealter für heute geborene Personen bzw. die fernere Lebenserwartung in einem bestimmten Alter, basierend auf der (hypothetischen) Annahme konstanter Sterberaten.
Obwohl das durchschnittliche Sterbealter einfacher zu berechnen ist, bietet es deutlich weniger Aussagekraft für demographische Analysen. Die Lebenserwartung ist robuster gegenüber kurzfristigen Schwankungen und Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung und liefert methodisch fundiertere Ergebnisse. Aus diesem Grund verwendet die Landesstatistik Wien für ihre Berechnungen in erster Linie die Lebenserwartung.
Das mittlere Sterbealter wird stark von lokalen Gegebenheiten beeinflusst – etwa durch die Präsenz von Alters- oder Pflegeheimen – und unterliegt daher von Jahr zu Jahr zum Teil erheblichen Schwankungen. Beispielsweise kam es während der Corona-Pandemie zu einer überproportional hohen Anzahl an Todesfällen in älteren Bevölkerungsgruppen, was das mittlere Sterbealter in Wien von 77,5 auf 77,9 Jahre ansteigen ließ. Dies könnte fälschlicherweise als eine gestiegene durchschnittliche Lebensdauer gedeutet werden, obwohl die Bevölkerung tatsächlich keine zusätzlichen Lebensjahre gewonnen hat. Im Gegensatz dazu lag die Lebenserwartung in Wien im Jahr 2020 mit 80,4 Jahren um 0,71 Jahre unter dem Wert von 2019 – ein klarer Rückgang aufgrund der erhöhten Sterblichkeit im ersten Pandemiejahr.
Im Jahr 2023 überstieg die Lebenserwartung der Frauen in Wien das durchschnittliche Sterbealter um 3,1 Jahre, bei den Männern war die Differenz mit 4,4 Jahren etwas größer. Diese Abweichung war in den Bezirken unter den Männern generell stärker ausgeprägt. Die größte Differenz fand sich mit 10,9 Jahren unter den Männern in der Josefstadt. Bei den Frauen war der Unterschied mit 5,5 Jahren im Bezirk Neubau am größten.
Fazit
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lebenserwartung in Wien beinahe kontinuierlich erhöht, mit einem pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020. Nun ist wieder eine Erholung erkennbar: 2023 erreichte die Lebenserwartung in Wien 81,0 Jahre und näherte sich damit dem Vorkrisenniveau. Seit den 1980er-Jahren verringert sich zudem die Differenz zwischen den Geschlechtern, wenngleich Frauen weiterhin eine deutlich höhere Lebenserwartung aufweisen. Auf Bezirksebene bestehen teils erhebliche Unterschiede, insbesondere bei den Männern, die aber nicht ursächlich mit dem Wohnbezirk zusammenhängen, sondern auf sozioökonomische und gesundheitliche Ungleichheit von Bevölkerungsgruppen zurückzuführen sind. Die Lebenserwartung wird dabei als aussagekräftigere Kennzahl bewertet als das durchschnittliche Sterbealter, da sie robuster gegenüber kurzfristigen demographischen Effekten ist. Das mittlere Sterbealter hingegen unterliegt stärkeren Schwankungen und kann durch lokale Besonderheiten verzerrt werden.
Weiterführende Informationen
Bevölkerungsmonitoring Wien (Wien 1×1)
Altwerden ist noch immer die einzige Möglichkeit, lange zu leben: Über steigende Lebenserwartung und sinkende Sterberaten in Wien und der Welt (Wien 1×1)
Schwerpunktanalyse: Geburtenrückgang in Wien und Österreich (Wien 1×1)
Zur Autorin
- Julia Glitzner arbeitet in der Landesstatistik Wien (MA 23).