von Klemens Himpele
Die Flexibilisierung der Arbeitszeit (Ausweitung der maximalen täglichen Arbeitszeit auf 12 und der maximalen Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden) wird derzeit heiß diskutiert – sicherlich auch, weil der Gesetzesbeschluss auf ungewohnte Weise ohne Einbeziehung der traditionellen Sozialpartnerschaft und ohne Begutachtungsverfahren zu Stande gekommen ist, aber auch wegen der Wirkungen dieses Gesetzes. ArbeitsrechtlerInnen, MedizinerInnen, ArbeitsmarktexpertInnen und ÖkonomInnen haben sich zu Wort gemeldet und teilweise erhebliche Bedenken geäußert. Die BefürworterInnen des Gesetzes hingegen argumentieren mit angeblich neuen Realitäten und insbesondere mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Kernargument soll in der Folge betrachtet werden.
Wettbewerbsfähigkeit: Seit 2002 erzielt Österreich Exportüberschüsse
Wie ist es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Österreich bestellt, können österreichische Waren auf dem Weltmarkt reüssieren? Die aktuellsten Daten beziehen sich auf das Jahr 2017: Österreich exportierte um 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr, und dies von einem hohen Niveau ausgehend. Die Industriellenvereinigung behauptet derzeit in einer Kampagne, dass die Hälfte der Jobs in Österreich am Export hinge.
Betrachtet man die Leistungsbilanz, dann ist auch diese klar positiv. 2016 erzielte Österreich einen Leistungsbilanzüberschuss von 7,5 Mrd. Euro (2,1% des BIP), der sich vor allem aus einem Plus im Bereich der Dienstleistungen (es wird deutlich mehr exportiert als importiert), aber auch einem leichten Überschuss bei den Gütern ergibt. Österreich weist schon seit 2002 eine (deutlich) positive Leistungsbilanz auf, die 2008 mit einem Plus von 4,5 Prozent des BIP ihr Maximum erreichte.
Grafik: Leistungsbilanzsalden Österreichs seit 1995
Diese positive Leistungsbilanz bedeutet aber auch: Andere Länder verschulden sich gegenüber Österreich, da sie den Überschuss an Waren und Dienstleistungen, den sie aus Österreich beziehen, als Volkswirtschaft begleichen müssen. Zwar ist es möglich, dauerhafte Leistungsbilanzdefizite und somit Verschuldungspositionen gegenüber anderen Ländern aufrechtzuerhalten, aber es ist problematisch, diese Defizite immer weiter zu erhöhen. Aus diesem Grund und zur Sicherung der Stabilität der Wirtschaft ist das langfristige Ziel einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht im Sinne einer konstanten Leistungsbilanzposition, oder gar, wie es etwa von Georg Feigl gefordert wird, eine Angleichung von Exporten und Importen, und nicht das Anhäufen immer größerer Exportüberschüssen. Da die Exporte Österreichs höher sind als die Importe, gibt es aktuell Spielraum, die Binnennachfrage gegenüber dem Export zu stärken.
Lohnstückkosten: Österreich hat vierthöchste Arbeitsproduktivität in der EU
Die erläuterten Leistungsbilanzüberschüsse zeigen: Die österreichische Wirtschaft ist wettbewerbsfähig. Dies wird einerseits über den Preis, andererseits über die Qualität von Produkten und Dienstleistungen erreicht. Beim Preis definiert sich die Wettbewerbsfähigkeit dabei nicht durch die Lohnkosten (oder gar Lohnnebenkosten) als solche, sondern durch die Lohnstückkosten, die das nominale, zu laufenden Preisen berechnete Arbeitnehmerentgelt je ArbeitnehmerIn ins Verhältnis setzen zur Erwerbstätigenproduktivität. Wenn also die Löhne in Land A dreimal höher sind als in Land B, aber die Produktivität viermal höher, dann kann in Land A trotz deutlich höherer Löhne günstiger produziert werden.
Da die Rahmenbedingungen und die Qualität der Produkte und Dienstleistungen schwer zu messen sind, ist ein internationaler Vergleich der Lohnstückkosten schwierig – die positive Leistungsbilanz Österreichs ist aber ein Hinweis darauf, dass die österreichischen Lohnstückkosten – also die Nominallöhne pro ArbeitnehmerIn in Relation zur Produktivität – wettbewerbsfähig sind.
Grafik: Produktivitätsentwicklung in Wien seit 1961
Betrachtet man die Entwicklung der Lohnstückkosten, so sind diese in Österreich stärker als im Schnitt der Euroländer gestiegen – auch weil der Durchschnitt durch die Krisenländer nach unten gezogen wird. Laut Eurostat sind die Lohnstückkosten seit 2010 im Euroraum um rund 6, in Österreich und Deutschland um 12 Prozent gestiegen. Österreichische Waren und Dienstleistungen sind damit etwas teurer geworden, was mit Blick auf das Außenhandelsgleichgewicht auch sehr zu begrüßen ist. Allerdings: Im Jahr 2017 lag der Anstieg in Österreich mit einem Plus von 0,2 Prozent bereits wieder unter dem Durchschnitt des Euroraums (0,6 Prozent) – hier ist Österreich also wieder günstiger oder wettbewerbsfähiger geworden.
Grafik: Arbeitsproduktivität im EU-Vergleich 2016
Wenn nun die Wettbewerbsfähigkeit durch die Ausweitung der maximalen Tages- und Wochenarbeitszeit erhöht werden soll, besteht das Ansinnen darin, die Löhne je ArbeitnehmerIn schwächer als ihre Produktivität steigen zu lassen. In diesem Falle können die Produkte billiger am Weltmarkt angeboten werden. Dass die Lohnentwicklung über den Wegfall von Überstundenzuschlägen gedrückt wird, befürchten etwa die Gewerkschaften. Dann wäre das Gesetz letztlich ein Gesetz zur Lohnmoderation und damit zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Die höhere Wettbewerbsfähigkeit im Ausland würde durch eine (im Verhältnis zur Erwerbstätigenproduktivität) niedrigere Lohnentwicklung und damit zu Lasten der Binnennachfrage organisiert werden.
Die zweite Möglichkeit ist die direkte Steigerung der Produktivität: Längere Tagesarbeitszeit lässt die Produktivität jedoch sinken und nicht steigen, da Menschen weniger konzentriert arbeiten. Denkbar ist dennoch, dass durch den Wegfall von Leerlauf und die sich daraus ergebende Arbeitsverdichtung gesamtbetrieblich eine unechte Produktivitätssteigerung erreicht werden kann – allerdings zu Lasten der Beschäftigten, die eine entsprechende und im Extremfall krank machende Arbeitszeitverdichtung hinnehmen müssen. Zudem sei der Hinweis erlaubt, dass Österreich laut EU-Kommission bereits die vierthöchste Arbeitsproduktivität der EU (übrigens deutlich vor Deutschland) hat.
Dient das Gesetz tatsächlich der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, so geschieht dies zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Es ist eben kein Zufall, dass die Industriellenvereinigung mit einem Großplakat und die Wirtschaftskammer mit einem Video für die Ausweitung der maximalen Arbeitszeit argumentieren und die Gewerkschaften mit einer Großdemo dagegen mobilisieren.
Wie sollen Produktivitätsgewinne der vierten industriellen Revolution verteilt werden?
Die Steigerung der Arbeitsproduktivität insbesondere durch die enormen Entwicklungen in der Technologie ist die Grundlage unseres ökonomischen Wohlstands. Eine steigende Produktivität bedeutet, dass mit gleicher Arbeit mehr an Wert bzw. „Output“ erzeugt wird oder für den gleichen Output weniger Arbeit notwendig ist. Produktivitätssteigerung führt demnach zu einem höheren Wohlstand – entweder gemessen in Einkommen oder gemessen in Freizeit. Damit ist über die Verteilung dieses Wohlstands noch nichts gesagt. Denn auch Arbeitslosigkeit ist eine (unfreiwillige) Reduktion der Arbeitszeit.
Historisch haben die Gewerkschaften einerseits einen höheren materiellen Wohlstand durch höhere Löhne erkämpft, andererseits wurden die enormen Produktivitätsschübe insbesondere der industriellen Revolution auch für eine erhebliche Verkürzung der Arbeitszeit genutzt. So wurde in Österreich 1885 der 11-Stunden-Tag eingeführt, 1919 wurde der gesetzliche 8-Stunden-Tag verankert, 1970 schließlich folgte die 40-Stunden-Woche.
Grafik: Wochenarbeitszeit in Österreich seit dem 19. Jahrhundert
In der aktuellen Debatte zur Digitalisierung wird oft ein Ende der Arbeit postuliert, Alexander Recht und ich haben hierzu an anderer Stelle etwas geschrieben. Dabei wird eine vierte industrielle Revolution mit enormen Produktivitätsgewinnen prognostiziert, so dass mit einem deutlich geringeren Arbeitsvolumen als heute der Wohlstand gesichert werden könnte. Dies bedeutet aber auch, dass erheblicher Spielraum für Arbeitszeitverkürzungen besteht – und eine Ausweitung der maximalen Arbeitszeit wie geplant auch aus diesem Blickwinkel nicht sinnvoll erscheint. Die Maßnahme soll der Exportwirtschaft nutzen und verstärkt damit bestehende Ungleichgewichte in der EU. Schlimmer noch: Es werden andere Länder unter Druck gesetzt, ebenfalls ihre sozialen Standards zu senken. Denn Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept: Es können nicht alle wettbewerbsfähiger werden, man kann dies immer nur zu Lasten anderer Volkswirtschaften.
Zum Autor
- Klemens Himpele ist Leiter der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.
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