Wussten Sie, dass Wien die sechstgrößte Stadt der Europäischen Union ist, dass aber nur 4 von 1.000 EU-Europäerinnen bzw. Europäer aus Wien kommen? Dass die EU einer der größten Wirtschaftsräume der Welt ist und 74 % der Wiener Exporte in andere EU-Staaten gehen? Oder dass nur rund 40 % der Wienerinnen und Wiener üblicherweise an Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen? Anlässlich der Europawahl am 26. Mai 2019 haben wir uns die verfügbaren Daten zu Europa und Wien angesehen und stellen die wichtigsten in einer neuen Broschüre vor. Dabei zeigt sich: Wien spielt in der EU zwar eine starke, aber kleinere Rolle. Europa begegnet einem in Wien dagegen auf Schritt und Tritt.
Sie wollen mehr zu Wien und Europa wissen?
- Welche Parteien die EU-Ausländer bei den Bezirksvertretungswahlen bevorzugen und warum die Beteiligung an den Europawahlen so niedrig ist, erfahren Sie im Blogartikel „Wien wählt Europa, Europa wählt Wien: EU-Mitbestimmungsrechte kaum genutzt“.
Obwohl Wien geographisch im Herzen Europas liegt, befand sich die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg Jahrzehnte in der Peripherie des politischen Westens. Das hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stark geändert: Aus Wien wurde in nur zwei Jahrzehnten eine vielfältige europäische Metropole. Woran man das sieht? Vor allem an der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. Im Bereich der politischen Mitbestimmung ist die „Europäisierung“ Wiens noch nicht ganz so weit fortgeschritten.
Im Folgenden sollen diese zwei Schwerpunkte analysiert werden. Zum Vergleich haben wir meistens die anderen 17 Millionenstädte der EU herangezogen (Achtung: Paris ist ein Sonderfall).
Rang | Stadt | Bevölkerung | Fläche in km2 |
Bevölkerungsdichte in EW/km2 |
---|---|---|---|---|
1. | London | 8.868.066 | 1.572 | 5.641 |
2. | Berlin | 3.574.830 | 892 | 4.008 |
3. | Madrid | 3.182.981 | 607 | 5.244 |
4. | Rom | 2.872.800 | 1.285 | 2.236 |
5. | Paris | 2.181.866 | 105 | 20.780 |
6. | Wien | 1.867.582 | 415 | 4.500 |
7. | Bukarest | 1.826.830 | 228 | 8.012 |
8. | Hamburg | 1.810.438 | 755 | 2.398 |
9. | Budapest | 1.752.704 | 525 | 3.338 |
10. | Warschau | 1.750.345 | 517 | 3.386 |
11. | Barcelona | 1.620.809 | 100 | 16.208 |
12. | München | 1.464.301 | 310 | 4.724 |
13. | Mailand | 1.366.180 | 160 | 8.539 |
14. | Prag | 1.280.508 | 496 | 2.582 |
15. | Sofia | 1.236.047 | 492 | 2.512 |
16. | Brüssel | 1.199.095 | 161 | 7.448 |
17. | Birmingham | 1.127.517 | 268 | 4.207 |
18. | Köln | 1.075.935 | 405 | 2.657 |
Quelle: Eurostat, Wikipedia
Grafik: Geographie und Geschichte der EU
EU-Wienerinnen und -Wiener seit EU-Beitritt 1995 versechsfacht
Vor dem EU-Beitritt hatte Wien im Jahr 1991 1.540.000 Einwohnerinnen und Einwohner. 13 % waren ausländische Staatsangehörige – aus den heutigen EU-Staaten kamen lediglich 2 % oder 37.000 Menschen. Heute haben 30 % der Wienerinnen und Wiener keinen österreichischen Pass – 13 % oder 240.000 sind aber Unionsbürgerinnen bzw. -bürger.
Die Zahl der Menschen aus anderen EU-Ländern hat sich also – ebenso wie ihr Anteil an der Wiener Bevölkerung – mehr als versechsfacht. Warum? Weil in der EU Personenfreizügigkeit gilt: Jeder Unionsbürger und jede Unionsbürgerin kann sich grundsätzlich überall in der EU ansiedeln. Einzige Voraussetzung ist, dass sie für sich selbst sorgen können (zum Beispiel im Rahmen des Studiums, um zu arbeiten, in der Pension,…). Ein Wohnsitzwechsel in einen anderen EU-Staat, um dort Sozialhilfe beziehen zu können, ist hingegen nicht möglich. Diese Freizügigkeit gilt übrigens nicht nur für die 28 EU-Mitglieder, sondern auch für die drei weiteren Staaten, die gemeinsam mit der EU den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bilden (Liechtenstein, Norwegen, Island) sowie die Schweiz.
Woher kommen die Wienerinnen und Wiener?
Österreich und insbesondere Wien waren und sind für andere EU-Bürgerinnen und -bürger sehr attraktiv: Einerseits für die Deutschen, die heute die drittgrößte Bevölkerungsgruppe in der Stadt darstellen. Andererseits besonders für Menschen aus den direkten Nachbarländern sowie Polen, Rumänien, Kroatien und Bulgarien. Für diese Staaten galt die volle Freizügigkeit erst seit 2011 bzw. 2014 – weshalb der Bevölkerungsanteil dieser Gruppen erst danach stark anstieg.
Staatsangehörigkeit | 1991 gesamt | Bev.anteil |
2018 gesamt | Bev.anteil |
Veränderung 1991-2018 | ||
---|---|---|---|---|---|
alle | 1.539.848 | 100 % | 1.888.776 | 100 % | +22,7 % |
Österreich | 1.343.196 | 87,2 % | 1.329.449 | 70,4 % | -1,0 % |
EU-28 (ohne Öst.) | 36.750 | 2,4 % | 239.114 | 12,7 % | +550,7 % |
Drittstaaten | 159.902 | 10,4 % | 320.213 | 17,0 % | +100,3 % |
Top 10 fremde Herkunftsländer 2018 (in Klammer: Rang 1991) | |||||
1. Serbien | 77.306 | 4,1 % | |||
2. Türkei (2) | 43.876 | 2,8 % | 46.039 | 2,4 % | +4,9 % |
3. Deutschland (4) | 9.017 | 0,6 % | 45.462 | 2,4 % | +404,2 % |
4. Polen (3) | 11.056 | 0,7 % | 42.555 | 2,3 % | +284,9 % |
5. Rumänien (9) | 2.532 | 0,2 % | 31.307 | 1,7 % | +1136,5 % |
6. Syrien (34) | 272 | 0,0 % | 23.071 | 1,2 % | +8382,0 % |
7. Ungarn (5) | 3.539 | 0,2 % | 22.847 | 1,2 % | +545,6% |
8. Kroatien | 22.089 | 1,2 % | |||
9. Bosnien und Herzegowina | 22.063 | 1,2 % | |||
10. Bulgarien (23) | 804 | 0,1 % | 17.113 | 0,9 % | +2028,5 % |
Wichtige aufgelöste Herkunftsländer (2018: Summe der Nachfolgestaaten) | |||||
Jugoslawien (1) | 87.358 | 5,7 % | 142.340 | 7,5 % | +62,9 % |
Tschechoslowakei (8) | 2.619 | 0,2 % | 19.739 | 1,0 % | +653,7 % |
Quelle: Statistik Austria
Während sich die Zahl der EU-Bürgerinnen und -bürger versechsfacht hat, haben sich die Drittstaatsangehörigen „nur“ verdoppelt. Trotzdem übertrifft die Zahl der „Drittstaatler“ jene der EU-Ausländer und -Ausländerinnen in Wien weiterhin, nämlich um rund 80.000. Das ist im europäischen Vergleich nicht ungewöhnlich, in den meisten Großstädten ist die Gruppe der Drittstaatsangehörigen größer. Die Gründe dafür sind immer länderspezifisch: In Österreich und Deutschland hängt es mit der Gastarbeiterzuwanderung der 1950er- bis 1970er-Jahre aus der Türkei und Jugoslawien sowie den Fluchtbewegungen im Zuge der Jugoslawienkriege zusammen. In Spanien, Portugal, Frankreich und Großbritannien mit dem jeweiligen kolonialen Erbe in Lateinamerika, Afrika und Asien; in Estland und Lettland mit der früheren Zugehörigkeit zur Sowjetunion, in Schweden mit der liberalen Asylpolitik und so weiter.
Wirtschaft und Wohlstand: Prag wirklich vor Wien?
Auch die Verflechtungen im wirtschaftlichen Bereich sind enorm. Kein Wunder: Wien befindet sich nicht nur geographisch zwischen den alten und neuen Mitgliedstaaten, sondern profitiert auch von der historischen Drehscheibenfunktion zwischen Ost und West. 74 % unserer Exporte gehen in die EU, am meisten nach Deutschland, Frankreich und Polen. 65 % der Importe kommen aus der Union. Über 60 % der ausländischen Direktinvestitionen kommen aus bzw. gehen in andere EU-Länder. 200 internationale Unternehmen betreiben ein Headquarter in Wien – viele davon steuern ihre gesamten „Ost-Geschäfte“ von Wien aus.
Grafik: Die EU-Länder sind unsere wichtigsten Handelspartner
Der Wiener Wohlstand gemessen als BIP pro Kopf in Kaufkraftstandards liegt mit 45.200 deutlich über dem EU-Schnitt von 30.000 (Jahr 2017). Wien ist damit die 21.-wohlhabendste der insgesamt 276 EU-Regionen. Unter den 18 EU-Millionenstädten liegt Wien im Mittelfeld. Paris schneidet als Sonderfall in dieser Statistik besonders gut ab: Die verhältnismäßig kleine „Stadt Paris“ im juristischen Sinn ist nur das reiche Zentrum der eigentlichen Großstadtregion Paris, für die es aber keine Daten gibt.
Grafik: Wien ist eine der wohlhabendsten Regionen der EU (Achtung: Noch nicht revidierte Daten von Eurostat)
Interessanteweise liegen bei diesem BIP-Wohlstandsvergleich die Städte Warschau, Prag und auch Bratislava in den letzten Jahren immer vor Wien. Unsere These ist, dass dies mit einer methodisch nicht vermeidbaren Verzerrung zu tun hat: Preisniveaus werden von Eurostat nur national berechnet. Es ist aber anzunehmen, dass die Preise zum Beispiel in Prag höher sind als im tschechischen Durchschnitt. Daher profitieren osteuropäische Städte von dieser Art der Berechnung. Außerdem sagt der Wohlstand einer Stadtregion nichts über die Verteilung aus – also welcher Anteil den Erwerbstätigen zu Gute kommt.
Der Big Mac Index – eine Erfindung des Magazins Economist – stützt unsere Annahme (mit einem Augenzwinkern): In Wien muss ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin im Schnitt nur 18 Minuten arbeiten, um sich den bekanntesten Burger der Welt leisten zu können – immerhin Platz 3 unter den EU-Millionenstädten. In Warschau sind es 33, in Prag 42 und in Budapest sogar 56 Minuten. Im nur 55 Kilometer entfernten Bratislava braucht man 48 Minuten.
An der Wohlstandsgrenze: hohe Attraktivität für EU-Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmer
Der Wiener Arbeitsmarkt war insbesondere von den EU-Osterweiterungen betroffen. Seit 2011 können Menschen aus den zehn neuen Mitgliedstaaten (darunter unsere unmittelbaren Nachbarländer) bzw. seit 2014 Personen aus Bulgarien und Rumänien ohne Einschränkungen in Österreich arbeiten. Etwa 50.000 Menschen nutzten diese Möglichkeit in den letzten Jahren.
Grafik: Wien befindet sich an der innereuropäischen Wohlstandsgrenze
Das hat mit dem früheren Eisernen Vorhang zu tun: Dieser ist noch immer eine Wohlstandsgrenze in Europa, wie die Karte zeigt. Die Durchschnittslöhne im Osten machen ein Drittel von jenen in Ostösterreich aus. Von Wien ist man außerdem relativ schnell in der alten Heimat, die Verkehrsverbindungen sind mittlerweile sehr gut ausgebaut: In nur fünfeinhalb Stunden ist man mit dem Auto etwa in Timișoara, in viereinhalb Stunden in Krakau. Es gibt zudem etwa 9.000 Pendlerinnen und Pendler, die in Tschechien, der Slowakei oder Ungarn wohnen und in Wien arbeiten.
Grafik: Pendlerinnen und Pendler
Aufgrund ihrer guten Qualifikationen sind die EU-Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Wien sehr erfolgreich. Ihre Beschäftigungsquote liegt mit 73 % über dem Wiener Durchschnitt von 68 %. Trotzdem stellte die schnelle Vergrößerung des Arbeitskräfteangebots während der schweren internationalen Wirtschaftskrise für den Wiener Arbeitsmarkt eine Herausforderung dar. Mit dem Aufschwung seit 2016 entspannt sich die Lage wieder, die Arbeitslosigkeit sinkt kontinuierlich.
Die osteuropäischen Länder holen beim Lebensstandard währenddessen auf, gleichzeitig sinkt dort das Potential (meist junger) auswanderungswilliger Menschen. Deshalb gehen Studien der Stadt Wien von weniger Arbeitsmigration aus dieser Region in den nächsten Jahren aus – dass 2020 der österreichische Arbeitsmarkt für Staatsangehörige des verhältnismäßig kleinen Kroatiens geöffnet wird, dürfte diesen Trend kaum beeinflussen.
Grafik: Wenn Wien ein EU-Staat wäre (wäre für ausreichend Gurken und Melanzani gesorgt…)
Exkurs: Sonderfall Paris
Paris ist in dieser Statistik und in allen weiteren Vergleichen ein Sonderfall: Während zum Beispiel die Gemeinden um die eher kleine „Ville de Bruxelles“ einen gemeinsamen Stadtverbund namens Brüssel-Hauptstadt bilden, gibt es keine vergleichbare Institution in Paris. Paris ist also immer die Kernstadt mit etwas über 2,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. In der eigentlichen Stadtregion, die gemeint ist, wenn man von „Paris“ spricht, leben dagegen etwa 10 Millionen Menschen. (Eine ähnliche Problematik es bei den meisten Metropolen, allerdings in kleinerem Ausmaß, z. B. Barcelona.)
Weiterführende Informationen
Weitere Grafiken und Daten finden Sie in unserer neuen Broschüre sowie auf unserem „Wien in Europa“-Portal auf wien.at.
„Wien wählt Europa, Europa wählt Wien: EU-Mitbestimmungsrechte kaum genutzt“ im Wien 1×1-Blog
Reihe „Wien in Zahlen“: Wirtschaftsstandort
Broschüre „Wien in Zahlen“
Reihe „Wien in Zahlen“: Forschung und Entwicklung
Reihe „Wien in Zahlen“: Bevölkerungsprognose
Zum Autor
- Franz Trautinger ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.