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Von der Wiege bis zur Bahre (Teil 2): Öffi-Boom, Gemeindebau und Leichenrohrpost

Statistisches Jahrbuch der Stadt WienEin Beitrag anlässlich der Präsentation des Statistischen Jahrbuchs der Stadt Wien 2017

von Thomas Harbich und Klemens Himpele

Im ersten Teil des „Jahrbuch-Artikels“ über Sophias und Alexanders Leben in Wien ging es um das Gesundheitssystem, Bücher, Haustiere und Bäder. Warum sich Sophia und Alexander vor allem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen, wo sie wohnen und über ihren letzten Weg nach Simmering erfahren Sie nun in der Fortsetzung.

Verkehr: Öffis und RadlerInnen auf dem Vormarsch

Mobilität ist für auch für Sophia und Alexander von Anfang an bedeutend, und generell einer der wichtigsten Aspekte städtischer Infrastruktur. Wie kommt man zu den Großeltern, in den Kindergarten, in die Schule, zu den Freunden und später zum Arbeitsplatz? In Wien nutzen immer mehr Menschen die öffentlichen Verkehrsmittel, um diese Wege zu erledigen. Während der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel am Modal Split in den letzten Jahren deutlich anstieg, reduzierte sich jener der Autos seit 1993 um 13 Prozentpunkte (siehe Abbildung unten). (Achtung: Das bedeutet nicht zwangsläufig weniger Autoverkehr auf den Straßen!).

Frage 4

  • Wie heißen die längste und die kürzeste Straße Wiens?
    – Lösung –
    (Fahren Sie mit der Maus (PC) auf den Schriftzug um die richtige Antwort zu erfahren. Smartphoneuser finden die Lösung ganz unten auf dieser Seite.)

Ebenso sticht die Verdoppelung des Radfahranteils hervor, die u.a. mit dem Ausbau der Infrastruktur in diesem Bereich zusammenhängt. Während das Straßennetz kaum Zuwächse verzeichnete (nur ca. +1 Prozent), gibt es um 50 Prozent mehr „echte“ (von der Kfz-Fahrbahn unabhängige) Radwege als 2003 und um über 70 Prozent mehr Radfahrstreifenfläche.

"Modal Split" (Verkehrsmittelwahl) in Wien 1993 und 2016 (Copyright: saintstephens)
„Modal Split“ (Verkehrsmittelwahl) in Wien 1993 und 2016 (Copyright: saintstephens)

Verkehr und Zeitgeist: die Stadtautobahnen

Bei der Verkehrsinfrastruktur lohnt sich zudem ein kleiner Exkurs mit Blick in die Vergangenheit, um zu erfahren, in welchem – aus Verkehrssicht gesehenen – „anderen“ Wien Sophia und Alexander hätten leben können. Gerade dieser Bereich ist von langfristigen Planungsfragen in Verbindung mit politischen Entscheidungen sowie dem Zeitgeist geprägt.

Besonders deutlich wird dies beim Autoverkehr und bei einstigen Ideen zur Ausgestaltung des städtischen Straßennetzes: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Westautobahn (A1) in Auhof nicht wie bei anderen österreichischen Autobahnen üblich bei Kilometer 0, sondern bei Kilometer 8,936 beginnt?

Ein Blick in alte Verkehrspläne und Baustudien zeigt: In den 1950er- bis 1970er-Jahren hatte man vor, die Westautobahn entlang des Wienflusses bis zum Gürtel zu bauen.

Im Bereich des Gauzendorfer Gürtels, etwa bei der Gumpendorfer Straße, sollte es eine Abzweigung zur Westautobahn geben, die dort ihren Nullpunkt gehabt hätte. Das Konzept sagt viel über das stadtplanerische Denken der damaligen Zeit aus – und über den Wandel, der sich seitdem vollzogen hat. Niemand käme heutzutage auf die Idee, mehrspurige Autobahnen so weit ins Zentrum einer europäischen Millionenstadt zu führen. Und einige Städte (u.a. Paris und Seoul) haben sich sogar dazu entschlossen, derartige Straßen wieder zurückzubauen bzw. sogar gänzlich abzureißen.

Bundesstraßennetz in Wien gemäß Bundesstraßengesetz 1971
Bundesstraßennetz in Wien gemäß Bundesstraßengesetz 1971 (Quelle: wien.at)

Immer mehr Pkw trotz sinkendem Anteil an AutobesitzerInnen

Laut den Daten der Statistik Austria ist anzunehmen, dass noch immer eine Mehrheit der jungen WienerInnen ihren „Deckel“ macht. Und auch die Zahl der Fahrzeuge nimmt weiter zu – in einer wachsenden Stadt wenig verwunderlich: 1950 gab es in Wien „fast“ keine Autos – nämlich „nur“ 50.000. Heute liegt dieser Wert bei ca. 686.000 Wiener Pkw-Zulassungen. Dazu kommen noch die Autos der 200.000 Pkw-PendlerInnen, die im Umland wohnen und in der Bundeshauptstadt arbeiten oder studieren.

Pkw-Bestand und Pkw-Dichte in Wien
Pkw-Bestand und Pkw-Dichte in Wien

Wenn behauptet wird, die Autos in Wien seien auf dem Rückzug, ist dies streng genommen falsch. Sinkend ist lediglich die sogenannte „Pkw-Dichte“, also die Autos dividiert durch 1.000 EinwohnerInnen. Diese liegt in Wien derzeit bei rund 370 (Österreich: ca. 550). Rund ein Drittel der EinwohnerInnen Wiens besitzt also (im Schnitt) ein Auto. Die Pkw-Dichte sinkt seit dem Jahr 2002 etwas – trotzdem gibt es in absoluten Zahlen in Wien mehr Privatautos denn je. Ein interessantes Detail: Am höchsten ist die Pkw-Dichte im 1. Bezirk (ca. 1.000). In der City sind sogar mehr Kraftahrzeuge (= Pkw + Busse und Lkw) als BewohnerInnen gemeldet: Auf 18.853 Kfz kamen im Jahr 2016 16.465 InnenstädterInnen. Wir gehen davon aus, dass dies auch mit den vielen dort gemeldeten Firmenwägen zu tun hat – in der Inneren Stadt befinden sich mehr Arbeitsstätten als in jedem anderen Wiener Bezirk.

Dass der Anteil der Autos am „Modal Split“ trotzdem sinkt, hängt u.a. mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs zusammen. Und nicht zuletzt mit der Preissenkung bei der Jahreskarte der Wiener Linien im Jahr 2012 auf 365 Euro.

Seit 2005 konnte die Zahl der Jahreskarten-BesitzerInnen mehr als verdoppelt werden – und liegt jetzt bei knapp über 760.000, wobei der größte Zuwachs in den Jahren nach der Preissenkung erfolgte. Im selben Zeitraum halbierte sich auch die SchwarzfahrerInnenquote von 4-5 auf knapp unter 2 Prozent.

Fahrgäste der Wiener Linien
Fahrgäste der Wiener Linien

Im Bereich der öffentlichen Verkehrsstatistik lassen sich leider in vielen Fällen nur schwer Vergleiche anstellen. Ein „Zeitreihenbruch“ im Jahr 2012 macht die Daten davor und danach nicht vergleichbar, da die Methode zur Zählung der Passagiere geändert wurde.

Ähnliches gilt für die Linienlänge und die Linienanzahl der Busse. Zwar kam es in den letzten Jahren auch zur Einführung neuer Linien und Streckenerweiterungen, einen Teil des Sprungs der Kurve verursachte in der Statistik aber auch ein Gemeinderatsbeschluss von 2007. In dessen Folge „wanderten“ die Konzessionen aller Stadtbuslinien der privaten BusbetreiberInnen (Blaguss, Dr. Richard etc.) bis Ende 2015 zu den Wiener Linien und somit erhöhte sich auch deren Linienzahl und Streckenlänge in der Statistik der städtischen Verkehrsbetriebe. Unabhängig davon wird der Betrieb mancher Linien weiterhin ausgeschrieben und nach erfolgtem Zuschlag an private Unternehmen vergeben – man erkennt dies an Hinweistafeln: „Im Auftrag der Wiener Linien“ in den Bussen.

Linienlänge der Wiener Linien
Linienlänge der Wiener Linien

Gut sichtbar ist, dass das U-Bahnnetz kontinuierlich ausgebaut wurde (Verlängerungen der U1, U2 und U3 seit dem Jahr 2000). Auch im „Bim“-Netz gab es wichtige Neuerungen, so z.B. die erweiterten bzw. wiederaufgenommenen Linien 25 und 26 in „Transdanubien“. Die stagnierenden Werte des Straßenbahnnetzes in der Grafik sind darauf zurückzuführen, dass mit der Eröffnung neuer U-Bahntrassen oft (Teil-)strecken parallel verlaufender Straßenbahnlinien eingestellt wurden.

Der Wiener Gemeindebau: einmalig in Europa

Wenn Sophia und Alexander bei ihren Eltern ausziehen, benötigen sie eine Wohnung, wobei sie im wahrscheinlichsten Fall mieten werden. Um Mietwohnungen für alle leistbar zu halten, sorgt die Stadt Wien schon seit rund 100 Jahren für kommende Generationen vor: mit dem massiven Ausbau des öffentlichen Wohnbaus. Diese überwiegend städtischen Wohnbauten machen in Wien ca. ein Viertel aller Wohnungen aus – nämlich rund 230.000. Rechnet man die subventionierten Wohnungen dazu, leben ca. 60 Prozent aller WienerInnen im geförderten Wohnbau – ein sicherlich einmaliger Wert in Europa.

Als erster Gemeindebau Wiens gilt der Metzleinstaler Hof am Margaretengürtel (warum es in Wahrheit ein bisschen komplizierter ist, erfahren Sie hier). Das bekannteste „Symbol“ der Wiener Wohnbaustrategie ist der Karl-Marx-Hof in Döbling. Nach der letzten großen Bauwelle in den 1970ern beschloss die Stadt Anfang der 2000er-Jahre auf andere Modelle zu setzen. Der vorerst letzte Gemeindebau wurde schließlich 2002-2004 in der Rößlergasse 15 in Liesing errichtet. 2015 entschied sich die Stadtregierung jedoch wieder selbst als Bauherrin tätig zu werden: 2017 erfolgte der Spatenstich für den ersten „Gemeindebau neu“ in der Fontanastraße in Favoriten, dem bevölkerungsreichsten Bezirk. Weitere Planungen gibt es u.a. am Handelskai.

Frage 5

  • Welcher ist der größte Gemeindebau Wiens (nach Zahl der Wohnungen)?
    – Lösung –

Mit 27 km/h nach Simmering

Nachdem wir nun einige Stationen der städtischen Infrastruktur, wie Parks oder Kleingärten, auslassen, denen das Statistische Jahrbuch ebenfalls längere Kapitel widmet, können wir Ihnen das abschließende Thema nicht ersparen – Sie ahnen schon, worum es geht. Die Lebenserwartung von Sophia und Alexander ist ausgeschöpft. Die beiden sind, während Sie diesen Artikel gelesen haben 78,32 bzw. 82,88 Jahre alt geworden. Sie erinnern sich an den anfangs erwähnten „Vorsprung“, den „wir“ Männer im Laufe unseres Lebens verspielen…

Vermutlich verlassen uns die beiden in einem Krankenhaus – nur 16,5 Prozent der WienerInnen sterben in den eigenen vier Wänden. Danach geht es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen der 46 kommunalen Friedhöfe. Diese befinden sich – wie die Karte zeigt – bis auf eine Ausnahme alle außerhalb des Gürtels. Joseph II. ordnete Ende des 18. Jahrhunderts u.a. aus hygienischen Gründen an, alle Friedhöfe innerhalb des Linienwalls zu schließen. Der vorhin erwähnte Sonderfall ist der jüdische Friedhof am Alsergrund, da im Judentum Gräber nicht aufgelassen werden dürfen und er die NS-Zeit relativ unbeschadet überstand. Um diesen wurde später ein Altersheim errichtet, das sich dort noch immer befindet. Manche Wiener Klischees lassen sich schwer leugnen.

Friedhöfe in Wien
Friedhöfe in Wien

542 Hektar Friedhofsfläche gibt es in Wien. Es handelt sich dabei um rund 1,3 Prozent der Stadtfläche, was uns als stadtplanerische Laien zunächst nicht unbedingt beeindruckte. 1,3 Prozent ist aber auch der Anteil der Bezirksfläche der Brigittenau, oder die doppelte Größe der Inneren Stadt – was uns dann plötzlich doch viel vorkam. Auf Bezirksebene sehen diese Verhältnisse gänzlich anders aus: In den Innenbezirken gibt es aufgrund des josephinischen Beschlusses keine Friedhofsflächen. In Simmering machen sie 11 Prozent der Bezirksfläche aus – 47 Prozent der gesamten Friedhofsfläche Wiens befinden sich dort.

Heute kaum vorstellbar, war der 1874 eröffnete Zentralfriedhof nicht von Beginn an so „geschätzt“ wie heute, u.a. da er in den ersten Jahren nur mühsam und zeitaufwändig zu erreichen war. Um die Beliebtheit zu erhöhen „erfand“ die Stadt die „Ehrengräber“ als Auszeichnungen für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Pflege und Erhaltung dieser Gräber werden und wurden als „incentive“ von der Stadt getragen.

Die Wiener Friedhöfe sind aber nicht nur letzte Ruhestätte und Ziel vieler TouristInnen und WienerInnen, sie bieten auch andere Besonderheiten. So gibt es neben einem eigenen Bestattungsmuseum auch die Möglichkeit „Friedhofshonig“ zu erwerben. Wer – wie wir im ersten Augenblick – darin einen weiteren Beweis für den besonderen Todesbezug der WienerInnen erkennen will, irrt: Diese Art von Merchandising ist auch außerhalb der österreichischen Hauptstadt nicht unüblich.

Besonders makaber-faszinierend: Auch die Stadtverwaltung im 19. Jahrhundert sah in der peripheren Lage des neuen Friedhofs eine Herausforderung. Angedacht – aber nie verwirklicht – war, die „Holzpyjamas“ nach der „schönen Leich‘“ in der Innenstadt von dort mittels pneumatischer „Leichenrohrpost“ in einem Tunnelsystem nach Simmering zu transportieren. Mit – die letzte Zahl, versprochen – 27 km/h…

Die Präsentation des Statistischen Jahrbuchs der Stadt Wien 2017 am 16.1.2018 in der Universität Wien
Die Präsentation des Statistischen Jahrbuchs der Stadt Wien 2017 am 16.1.2018 in der Universität Wien

 

Weiterführende Informationen

Die „Wiener Zeitung“ über die Präsentation des „Statistischen Jahrbuchs 2017“
„Die Presse“ über Thomas Harbich und die Präsentation des „Statistischen Jahrbuchs“ 2017
Die Austria Presse Agentur auf kleinezeitung.at über das neue „Statistische Jahrbuch“ 2017
wien.orf.at über die Präsentation des „Statistischen Jahrbuchs“ 2017

Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 2017
Statistische Publikationen der Stadt Wien
Wien in Zahlen

Zu den Autoren

  • Thomas Harbich studiert Geschichte und Geographie und postet seit 2014 als @Tom_Harb auf Twitter täglich einen „#WienFakt“ – kurze, spannende Geschichten, Zahlen und Daten über die österreichische Hauptstadt. Gesammelt gibt es die inzwischen rund 1.200 Fakten unter: thomasharb.wordpress.com.
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  • Klemens Himpele ist Leiter der Magistratsabteilung 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.

Lösungen:
 
Frage 4: Höhenstraße (+) und Irisgasse (-)
 
Frage 5: Der Sandleitenhof in Ottakring mit knapp 1.550 Wohneinheiten.

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